In Gedenken an Thomas ‘Schmuddel’ Schulz, der am 28.03. vor genau zehn Jahren von einem Neonazi in der Dortmunder Innenstadt ermordert wurde, und alle anderen Opfer rechter Gewalt.

 

Heftige Eskalationen bei Blockupy vor etwa zwei Wochen. Vergangenes Wochenende eine Gedenkdemo für den vom Nazi Sven Kahlin  ermordeten Punk Schmuddel sowie alle weiteren Opfer rechter Gewalt. Und demnächst steht uns voraussichtlich der Bericht des Bundes-Innenmisteriums bevor, der ein weiteres Mal einen Anstieg der politisch motivierten Gewalttaten – insbesondere natürlich jener der „gewaltbereiten Linksextremisten“1 – im vergangenen Jahr beteuert wird.

Der Diskurs darüber, ob und falls ja, welche Gewalt legitim ist, spielt eine bedeutende Rolle für den Kampf gegen rechte Ideologie, gegen Repression, für Freiheit und für Solidarität. Dieser Diskurs mag aus Perspektive der linken Szene zunehmend unwichtiger werden, je weiter wir uns zeitlich von den gewaltsamen Aktionen der 68er-Bewegung und der RAF entfernen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Je länger linke Proteste auf Gewalt verzichten oder sie nur mäßig anwenden, desto kontuinuierlich niedriger wird der Maßstab, an dem Ausschreitungen gemessen werden. Wenn also gewaltsame Aktionen im linken Spektrum seltener oder weniger aggressiv werden, werden die Reaktionen auf diese natürlich stetig heftiger. Es ist also ein quasi zukunftsgerichteter, gewissermaßen präventiver Diskurs, dem sich radikale Linke immer wieder stellen und den sie immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit rücken müssen, um die Legitimität ihrer Aktionen zu fundieren.

Die Debatte um linksmotivierte Gewalt wird jedes Jahr aufs Neue von Rechten und staatlichen Institutionen verzerrt. Die gesamte Diskussion über Extremismus bezieht sich im Grunde auf eine unterstellte Parallelität linken und rechten Extremismus, die sich in Form von beidseitiger Gewaltbereitschaft äußere. Die Zahlen des Bundes-Innenministeriums verzeichnen eine Zunahme der Gewalttaten bei gleichzeitigem Rückgang der „Mitgliederzahlen“ linker sowie rechter Kreise.2 Eine kritische Analyse dieser Zahlen ergibt jedoch, dass es sich bei diesen keineswegs um objektive Aussagen handelt, sondern dass sie eine politisches Instrument sind. Die angebliche Zunahme linken Gewaltpotenzials beruht nämlich nicht auf genuinem Hass der linken Szene, sondern in erster Linie auf der Erwiderung von rechten Aktionen, Protesten und rechter Hetze. Sitzblockaden, Gegendemonstrationen und daraus resultierende Konfrontationen mit einer alles andere als linksgerichteten staatlichen Exekutive werden so bspw. auch in die Statistiken des Innenministeriums aufgenommen – zumal die Zahlen darin auf Berichten der Polizei beruhen, was als solches schon eine mehr als fragwürdige, einseitige Praxis ist.3 Aber selbst abgesehen von dem Fakt, dass es sich um vermutete Zahlen der selbst beteiligten und definitiv an Ausschreitungen mitverantwortlichen Polizist*innen handelt, sollte klar werden, dass die Aktionen linker Aktivist*innen zahlreicher und aggressiver werden, je mehr sich die rechte Szene auf den Straßen breit macht und dies auch noch von staatlicher Seite toleriert wird! Was hier als objektiv und politisch neutral verkauft wird, ist also nichts weiter als ein politisches Statement derjenigen, die für diese Statistiken verantwortlich sind – wohl nicht unerheblich zu erwähnen, dass dies in den letzten ja so „gefährlichen“ Jahren Politiker*innen schwarz-dominierte Koalitionen waren, derzeit übrigens zum zweiten Mal Herr Dr. de Mazière.

 

Neben den Politiker*innen treiben aber obendrein auch Journalist*innen nicht ungerne ihr Spiel mit den Schlagzeilen, in die sie Formulierungen packen, die suggerieren, dass Gewalttaten aus der linken Szene durch ihren vermeintlichen Zuwachs die Anzahl derjenigen der Rechten überholt hätten.4 Aber auch hier ist das Gegenteil der Fall. Die Gesamtzahl der Gewalttaten liegt gegenüber denen der Rechtsextremist*innen noch deutlich niedriger, die Gesamtzahl der politisch motivierten Straftaten aus dem rechten Spektrum ist sogar noch immer doppelt so hoch wie die aus den linken Reihen.5 Ein zusätzlicher Faktor relativiert das Ganze noch weiter: Ein linksextremistisches Potential geht nach den Zahlen vom Bundes-Innenministerium von über 28.500 Personen, ein rechtsextremistisches von lediglich 22.700 Personen.6 Das Mehr an Gewalt der Rechten wird also zudem von weniger Menschen ausgeübt. Wer über einen angeblichen Anstieg linker Gewalt titelt, hat sich also entweder wenig mit den vorliegenden Zahlen beschäftigt oder verfolgt klare politiche Ziele.

Doch natürlich wäre es zu einfach, aufkommende Gewalt aus den linken Reihen auf das Erstarken rechter Gesinnungen und Strukturen zurückzuführen. Ein weiterer Grund, der klar macht, warum Straftaten aus dem linksradikalen Spektrum sich grundsätzlich von der der Faschist*innen unterscheidet, liegt in ihren politisch-inhaltlichen Bedingungen. Wenn bei Blockupy ein Polizeiwagen brennt, wenn die Macht symbolysierenden Gebäude von staatlichen Institutionen und rechten Organisationen beschädigt werden, wenn Häuser besetzt werden, werden damit nicht Personen angegriffen, verletzt oder getötet. Es geht um einen Kampf gegen das System, das soziale Kälte, Leistungszwang, struktureller Diskriminierung und Repression der dieses System bekämpfenden Personen und all jener Menschen, die sich seinen Normen nicht anpassen wollen, als seine wesentlichen Bestandteile nennen lässt. Das ist ein inhaltlich fundamentaler Unterschied zu den auf Individuen gerichteten Morddrohungen, „Hausbesuchen“ und propagandistischen Hetzjagden, für die sich die rechten Menschenfeinde erst vergangenen Samstag noch selbst gefeiert haben! Es sagt eine Menge über die politische Kultur aus, die das genannte System als seine legitime politische Mitte hervorbringt und mit allen Mitteln zu festigen versucht, dass sie eine auf die Freiheit und Gleichheit aller Menschen gerichtete politische Szene und ein auf die gezielte Diskriminierung von Minderheiten zielendes Sammelsurium von Hassprediger*innen miteinander gleichsetzt.

Diese politische „Mitte“ sollte sich stattdessen vielmehr selbst kritisch hinterfragen, sich ihrer eigenen Gewaltsamkeit, die sie institutionell ausübt, bewusst werden und den Widerstand gegen diese Gewalt als Zeichen dafür werten, dass sie Menschen und deren Meinungen ausgrenzt. Menschen, die sich für Solidarität mit den erwerbslosen Jugendlichen in Spanien, den sozial prekarisierten Menschen in Griechenland, den Refugees aus den Krisengebieten überall auf der Welt und den immernoch alltäglich diskriminierten Menschen jüdischen Glaubens einsetzen. Wenn sie diese Menschen ausschließt, weil sie deren Protest zu „radikal“ findet, weil sie es nicht verkraftet, dass Autos brennen, während in anderen Staaten stündlich Menschen an den Folgen dieser politisch ja so legitimen „mittigen“ Politik umkommen, oder weil sie sich lieber mit den „eigenen Problemen“ beschäftigt und damit schon einen Schritt auf die Egomanie der Rechten zugeht – dann sollte sie sich nicht wundern, wenn Gewalt als Mittel herangezogen wird, um die Forderungen nach Freiheit und Gleichheit aller Menschen durchzusetzen.

Alerta!

 

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Ebd.