Freitag Nacht wurde der Militärputsch in der Republik Türkei verhindert. Nachdem gegen Mitternacht noch eine Erklärung des Militärs im staatlichen Fernsehsender TRT vorgetragen wurde, war gegen 3 Uhr nachts klar: Das AKP-Regime hat wohl wider die Zügel in der Hand.
Ein erfolgreicher Militärputsch hätte die Türkei in einen Bürger*innenkrieg gestürzt und noch mehr Unschuldigen das Leben gekostet. Es ist deswegen gut, dass der Putschversuch abgewendet wurde.

Der Putschversuch war nämlich nicht ein Versuch Demokratie zu retten, er war ein Versuch das letzte bisschen Demokratie zu beseitigen. Denn den Großteil der Demokratie hatte schon ein islamistischer und nationalisitischer Pseudo-Sultan beseitigt: Erdogan.

Der Putsch läuft: Von Erdogan in den Institutionen, von seinen Anhängern auf der Straße
Der Putsch war nicht erfolgreich, aber das Ziel des Putsches geht nun doch auf eine andere Art und Weise in Erfüllung:
Erdogan schlachtet den Militäraufstand aus um sich Kritiker*innen in Justiz und Militär (ob mit oder ohne Beteiligung am Putsch) aus dem Weg zu räumen.
Er beseitigt mit der unrechtsstaatlichen Entlassung von 3000 Richter*innen und Staatsanwälten das letzte bisschen einer unabhängigen Justiz. HDP-Abgeordnete aus dem Parlament in das Gefängnis zu schicken dürfte für ihn jetzt eine Leichtigkeit sein. Ebenso, wie die Wiedereinführung der Todesstrafe und die Durchsetzung seiner widerrechtlichen, antidemokratischen und verfassungsfeindlichen Politik.

Gleichzeitig überschlagen sich auf Twitter und per SMSen die Meldungen von islamisitschen Trupps, die durch alevitische und europäische Stadtviertel in Istanbul ziehen und Jagd auf Kurd*innen, Allevit*innen, Christ*innen und andere Menschen, die ihnen nicht in ihr fantastisches Konzept passen, machen. Auch christliche Kirchen und alevitische Moscheen wurden bereits genauso, wie Büros der HDP (, die den Putsch übrigens auch verurteilte) gestürmt. Sie rufen „Allahu Akbar“, dass wir sonst nur vom IS kennen.

Diese Leute sind nicht irgendwer. Sie sind Teil derer Leute, die auf den Straßen Erdogan feiern. Diese Leute sind Anhänger Erdogans. Oder konkreter: Diese Männer*.
Sie stehen für alles andere als für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte, wenn sie Einrichtungen religiöser Minderheiten angreifen, Selbstjustiz durch die Ermordung von Soldat*innen begehen und Angst verbreiten.
Sie leben die Politik Erdogans: Islamismus, Nationalismus, Unterdrückung.

Umso schrecklicher scheint es, wie die europäische Außenpolitik dazu schweigt. Merkel betitelte sie in ihrer Regierungserklärung noch als „mutig“. Und in Deutschland? Fanden viele Kundgebungen zur Unterstützung ebendieser Leute statt. Oft dabei: Der Wolfsgruß, das Kennzeichen der faschsitischen Terrororgansiation MHP, die in der Vergangenheit auch oft in Eigenregie Krieg gegen die kurdische Zivilbevölkerung führte.

Gegen einen Militärputsch auf die Straße zu gehen ist richtig und wichtig. Gegen einen Militärputsch aber auf die Straße zu gehen um die islamistisch-nationalsitische Politik wiederrechtlich voranzubringen ist schrecklich.

Wir brauchen JETZT einen türkeipolitischen Aufbruch – für Freiheit und Demokratie!

Wir erleben also, wie eine islamistisch-nationalsitische Politik der AKP zur Realität wird und Menschenrechte mit Füßen tritt. Was eine „europäische“ Reaktion darauf sein sollte: Missbilligung auf´s Schärfste, Unterstützung der progressiven demokratischen Kräfte, Einbestellung von Botschafter*innen.
Worin die Verantwortlichen der europäischen Außenpolitik gerade glänzen: Im Schweigen.

Dabei brauchen die demokratischen Kräfte in der Türkei jetzt gerade Unterstützung: Mit Hilfe der nationalistischen Oppositionsparteien MHP und CHP beschloß die islamistische Regierungspartei im Mai die Aufhebung der Immunität von 50 von 59 Abgeordneten der linksdemokratischen Oppositionspartei HDP, die als Vertretung der Minderheiten im Parlament gilt. Bisher war noch unklar ob die Demokratie siegt, d.h. die haltlosen Verfahren eingestellt werden. Nach der „Aussäuberung“, wie sie Erdogan nennt, dürfte nun die Demokratie verlieren und damit die Minderheiten ihre parlamentarische Vertretung verlieren. Ebenso bei der möglichen Wiedereinführung der Todesstrafe, die der Menschenrechtsresolution des Europarates (in dem die Türkei seit 1949 ununterbrochen Mitglied ist), widerspricht.

Wenn Europa jetzt nicht für Menschenrechte und Demokratie in einem der politisch-wichtigsten Länder in der Region aufsteht, dann wird es irgendwann zu spät sein um aufzustehen.
Oder gefragt: Wie sehr soll denn dieser Pseudo-Sultan noch Demokratie, Menschenrechte und Freiheit einschränken, bis die Bundesregierung auch nur mal ansatzweise andenkt den türkischen Botschafter einzubestellen?

Aber auch wir als progressive Kräfte dürfen uns jetzt nicht mit einem Facebook-Post, einem Tweet und ganz klaren Forderungen an die Bundesregierung in Pressemitteilungen mit einem guten Gefühl zurück lehnen.
Wir müssen alles erdenkliche tun um die demokratischen und friedlichen Kräfte, wie die HDP, zu unterstützen. Wir müssen Erdogans Politik überall entgegentreten, wo sie auch uns begegnet – und das ist auch in Deutschland möglich wie traurigerweise viele Demonstrationen Freitag Nacht und die Auslandswahlergebnisse der Parlamentswahlen belegen.

Wir brauchen einen türkeipolitischen Aufbruch. Jetzt. Bevor es zu spät ist. Für Frieden UND Demokratie in der Türkei.


Ein Gastbeitrag von Max Lucks, Sprecher der GRÜNEN JUGEND NRW