Durch Netflix können wir jeden Tag so viele Filme und Serien schauen, wie wir möchten. Aber was sind das denn eigentlich für Filme? Und vor allem: Welches Frauen*bild zeigen sie? Ein Gastbeitrag von Anja Lea Biermann.
Hollywood. Auch in der Filmindustrie spielt das Thema Sexismus eine Rolle. Dieser äußert sich direkt und indirekt auf verschiedenster Weise, so lassen sich Unterschiede zwischen Männern* und Frauen* bei der Besetzung, der Repräsentation von Hauptrollen, der Bezahlung und dem Dialoganteil feststellen.
So waren 2014 aus den 100 umsatzstärksten Filmen erschreckenderweise nur 12% der Protagonist*innen, womit konkret nur die Figuren gemeint sind, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird, weiblich. In dem selben Jahr machten Frauen* ebenfalls nur 30% der Rollen mit Redeanteil aus. Ähnlich zeigt sich auch in den 500 Top-Filmen der Jahre 2007 bis 2012, dass nur ein Drittel der Hauptrollen von Frauen* gespielt wurde. Außerdem ist dort das durchschnittliche Verhältnis von männlichen zu weiblichen Schauspielern sehr ungleich. „The average ratio of male to female actors is 2.25 to 1“, schreibt Edward Helmore in dem Artikel ‚The naked truth: Hollywood still treats its women as second class citizens‘ (The Guardian, Dezember 2013). Das bedeutet was auf deutsch?
Eine Studie der University of Southern California kommt zu vergleichbaren Ergebnissen. Bei der Untersuchung der 100 erfolgreichsten US-Filme aus dem Jahr 2015 zeigt sich deutlich: Frauen*, Queers und Menschen mit Behinderungen stellen eine klare Minderheit da, erhalten keine Stimme und werden so in den Hintergrund gedrängt. Von 4370 sprechenden Charakteren war wieder nur ein Drittel weiblich, 2,4% hatten eine Behinderung und nur 0,3% der Personen waren Queers.
„Only 32 speaking or named characters were lesbian, gay, bisexual or transgender across the sample of 100 top films of 2015. (…) Just one transgender character appeared sample-wide, as well as 19 gay men, 7 lesbians, and 5 bisexuals (…).“
Sogar Disney und Pixar wird Sexismus vorgeworfen. So haben die Autor*innen von Polygraph unter anderem die Dialogverteilung von männlichen und weiblichen Charakteren in Disney Filmen untersucht und die Statistiken in ihrem wöchentlich erscheinenden Journal Pudding veröffentlicht. In einer umfassenden Analyse wurde die Anzahl der gesprochenen Wörter von beiden Geschlechter in 2000 Drehbüchern zusammengestellt und verglichen. Das Ergebnis: Die Verteilung ist alles andere als ausbalanciert. In nur etwa einem Fünftel der untersuchten Filme haben die weiblichen Charaktere einen höheren Redeanteil als die männlichen. „In 22% of our films, actresses had the most amount of dialogue (…).“ (The Pudding, April 2016)
„Es scheint offensichtlich, dass auch in Hollywood Personen aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt werden“
Es scheint offensichtlich, dass auch in Hollywood Personen aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt werden. Dass auch im Film nicht vor dieser Diskriminierung Halt gemacht wird, hat diverse negative Auswirkungen. Vorurteile, stereotype und meist negative Einstellungen, Erwartungen und Verhaltensweisen werden unterstützt, Geschlechternormen gefestigt und besonders jene, die nicht in die Norm passen, werden durch sexistische Rollendarstellungen missachtet oder sogar herabgewürdigt.
Mit diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass es schon seit 1985 eine Art feministische Faustregel, den Bechdel-Test, gibt, der prüfen und beurteilen soll, ob und wie ein Film mit der Stereotypisierung von Frauen*rollen umgeht. Dieser besteht aus drei einfachen Fragen:
1. Gibt es mindestens zwei Frauen*rollen?
2. Sprechen sie miteinander?
3. Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann*?
Können alle drei Fragen bei einem Film mit Ja beantwortet werden, so ist der Test bestanden. Zwar ist hier Kritik nicht unangebracht, denn ein positives Ergebnis bedeutet nicht automatisch, dass ein Film frei von Sexismus oder gar feministisch sei. Dennoch thematisiert der Test ein wesentliches Problem, und zwar, dass Frauen* in Filmen viel zu selten eine eigenständige und unabhängige Rolle zugesprochen wird.
So gibt es jetzt auch eine queere Alternative, den Vito-Russo-Test, der Filme auf die Darstellung von Schwulen, Lesben und Trans*menschen prüft. Folgende Bedingungen müssen dabei erfüllt sein:
1. Der Film enthält einen Charakter, der eindeutig lesbisch, schwul, bisexuell und/oder transgender ist.
2. Der Charakter wird nicht ausschließlich oder überwiegend durch die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität definiert.
3. Der LGBT Charakter ist so in die Handlung eingebunden, dass ihre Entfernung einen signifikanten Effekt hätte. Der Charakter soll von Bedeutung sein.
Glücklicherweise immer mehr moderne Filme, in denen eine Hauptfigur durch eine starke Frau* vertreten wird, wie Katniss Everdeen in „Die Tribute von Panem“, Hermine Granger in „Harry Potter“ und Alice Kingsleigh aus „Alice im Wunderland.“ Man bemerkt, dass sich von der Auffassung, die Heldenrolle solle männlich sein, immer mehr distanziert wird. Bedauerlich bleibt für mich allerdings trotz allem, dass die Achtung und der Respekt, der der weiblichen Rolle im Film zu Teil wird, oft noch nach stereotypen männlichen Maßstäben verteilt wird. Denn in all diesen Filmen geht es auch um einen Krieg, darum zu kämpfen, sich zu behaupten. Stärke, Mut, Abenteuerlust und Loyalität sind also Eigenschaften, die in der Filmindustrie immer mehr beiden Geschlechtern zugeteilt werden.
Mir ist das zu wenig. In vielen Filmen vermisse immer noch einen bedingungslosen und absolut unabhängigen Zuspruch von respektablen Eigenschaften wie Weisheit, Besonnenheit und einen Führungsanspruch, der für Frauen* und Männer* gleich ist.
Produzent*innen eines Filmes, welcher als Medium nicht nur der Unterhaltung und auch der Bildung dient, sollten sich der Einflussnahme ihrer im Film inszenierten Charaktere, dessen Erscheinungsbild, ihr Handeln, ihr Umgang mit anderen und vor allem deren Rolle für den Film an sich, bewusst sein. Vor allem für Kinder und Jugendliche werden Protagonist*innen oft zur Leitfigur und zum Vorbild.
Sexismus ist kein Gespenst der Vergangenheit, welches die Pop-Kultur, die Öffentlichkeit oder Politik schon längst überwunden hätte und heute nur noch in alten Büchern, Filmen oder Aufzeichnungen als Echo widerhallt. Wird man sich dessen einmal bewusst, stellt man fest, dass Sexismus in verschiedensten Formen präsent ist und nach wie vor reproduziert wird. Es stellt unmissverständlich ein alltägliches Problem dar. So liegt es an uns, sich alltäglich queerfeministisch dagegen zu stellen.
Du stimmst Anja zu? Oder siehst es ganz anders? Den ganzen April lang wird es in der KRASS! um Queerfeminismus gehen. Schreib uns doch einfach, wenn du auch Lust hast einen Beitrag zu veröffentlichen! Wir helfen dir von der Idee bis zum fertigen Text, wenn du das möchtest! Mehr Infos findest du im Reiter „Mach mit!“.
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