Die Kommunalwahlen in der Türkei haben ihren Präsidenten abermals als rücksichtslosen Despoten entlarvt, der bereit ist demokratische Werte und Grundrechte für seinen Machterhalt zu opfern. Aber die Wahl zeigt auch eines – viele wählen die AKP trotzdem.
Als Erdogan in der Nacht zu Montag vor seine jubelnden Anhänger*innen trat kündigte er an was in der Türkei lange schon Realität ist – die rücksichtslose Verfolgung der politischen Widersacher. „Bis in die Höhlen werden wir sie verfolgen. Sie werden den Preis bezahlen!“, so Erdogan in seiner Rede. Die öffentliche Drohung lässt Schlimmstes erahnen. Und der Premier wird sich durch das Ergebnis der Kommunalwahl, welches er selbst zur Abstimmung über seine eigene Politik gemacht hatte, in seinem Kurs gestärkt sehen. Auf 45,5%, sechs Prozent mehr als bei der vorherigen Kommunalwahl 2009, kam die von ihm geführte AKP landesweit.
Angesichts der Korruptionsvorwürfe und des Machtmissbrauchs, konnte man schnell den Eindruck gewinnen, der Mann, der die Türkei seit zwölf Jahren dominiert, stünde mit dem Rücken zur Wand. Die Sperrung von Twitter als verzweifelter Befreiungsversuch eines kriselnden Machthabers.
Umso erstaunlicher wirkt das starke Wahlergebnis, dass Recep Erdogan als Triumphator glänzen lässt und das dieser soggleich nutzte um sich und seine Partei von allen Vorwürfen freizusprechen, die in den Wochen vor der Wahl aufgekommen waren.
Das starke Wahlergebnis der AKP wirkt auf den ersten Blick schwer begründbar.
Die Entlassungen von unliebsamen Juristen und Beamten sind unübersehbar. Der Machtmissbrauch ist durch Telefonmitschnitte beweisbar. Die Unzufriedenheit großer Teile der Bevölkerung fand in den zivilen Protesten der vergangenen Monaten einen deutlichen Ausdruck. Warum also konnte die Opposition nicht profitieren?
Wer in der heißen Wahlphase das Staatsfernsehen einschaltete, konnte dort täglich mindestens eine Stunde lang den Wahlkampfreden Erdogans zuhören. Den anderen Parteien wurden nur kurze Ausschnitte zugebilligt und so blieb ihnen in erster Linie der Straßenwahlkampf. Aber dieses offensichtliche Ungleichbehandlung ist nicht die alleinige Ursache. Wer die heutige Stärke der AKP verstehen will muss in der Geschichte der Türkei zurückgehen.
Die größte Oppositionspartei CHP, die auf 28% der Wählerstimmen kam, trägt immer noch schwer an ihrer eigenen Vergangenheit. Gegründet wurde sie von Atatürk und war bis zur Einführung des Mehrparteiensystems 1946 Staatspartei. Dieses Kapitel der Parteichronik und auch die Arroganz gegenüber den Kurd*innen haben viele Wähler*innen bis heute nicht vergessen.
Die zivile Opposition der Proteste im Gezipark haben sich nur teilweise der neugegründeten HDP angeschlossen und auch die anderen Parteien des Landes konnten der AKP keine Konkurrenz machen.
Realität ist zudem auch, dass trotz der Reihung etlicher Skandale ein großer Teil der Bevölkerung der AKP, auch durch den Taktiker Erdogan, weiterhin vertraut und ihre Hoffnungen auf die Partei und ihren Parteichef setzt, dem sie als einzigen zutrauen die Probleme des Landes zu lösen. Also bleibt der Machtmensch Erdogan vorerst an der Spitze eines Staates, dem eine sich ständig verstärkende Dominanz der Polizei und die Willkür ein korrupten Machtelite droht.
Was heißt das für die andauernden Beitrittsverhandlungen mit der EU?
Erdogans Politik ist nicht nur undemokratisch sie ist auch uneuropäisch.
Doch das der Staatenlenker, der einst als Erneuerer galt seinen Kurs ändert ist eher unwahrscheinlich. Vielmehr entfernen sich mit EU und der türkischen Regierung zwei Partner, die sich ohnehin nie wirklich nahe waren.
Die EU braucht keinen erdogan´schen Polizeistaat, der Grundrechte mit Füßen tritt, genauso wenig wie die Türkei Erdogan braucht. Am Ende kann nur die deutlich mehr Europa zugewandte junge Generation, die auch schon bei den Gezi-Protesten auf die Straße ging, den Schritt Richtung EU machen – ohne den Despoten Erdogan.
von Justus Baumann
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