Spätestens seit der 2007 angefangenen Weltwirtschaftskrise, gilt es als das Heilmittel für angeschlagene Volkswirtschaften: Wirtschaftswachstum. Es soll dazu beitragen, Rezessionen abzuwenden und schließlich zu einem konjunkturellen Aufschwung zu führen. Aus diesem resultiere dann auch ein größeres Maß an Wohlstand, so behaupten es zumindest viele Politiker. Doch inwieweit eignet sich Wirtschaftswachstum als Wohlstandsindikator?
Um dieser Frage nachgehen zu können, müssen zunächst verschiedene Begriffe genauer erläutert werden. Wirtschaftswachstum repräsentiert den wirtschaftlichen Erfolg einer Volkswirtschaft. Gemessen wird dies am Bruttoinlandsprodukt (BIP). Lebensqualität lässt sich im Zusammenhang als Synonym für Wohlstand verwenden.
Wirtschaftswachstum ist ein grundlegendes Ziel des wirtschaftlichen Handelns. Deshalb ist es zum Beispiel in Deutschland im „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“ als eines von vier Zielen festgehalten. Offensichtlich ist auch, dass ein steigendes Wachstum mehr Einnahmen für den Staat bedeuten. Dadurch kann beispielsweise gewährleistet werden, dass die sozialen Sicherheitssysteme gestärkt werden. Außerdem sind die wirtschaftlichen Ziele des Wirtschaftswachstums und eines hohen Beschäftigungsstandes bzw. Vollbeschäftigung komplementär. Somit ist Wachstum auch eine wichtige Bedingung um den Beschäftigungsstand hoch zu halten.
Doch Wachstum vernachlässigt auch viele Aspekte der Lebensqualität. Das BIP, als Repräsentant des Wirtschaftswachstums, gibt zum Beispiel keine Aussagen über Umwelt, Gesundheit oder Glück. Man stelle sich nur mal vor, Unternehmen produzierten mehr und immer mehr und Arbeiter dieser Unternehmen müssten länger arbeiten. Das BIP würde natürlich steigen, da sich die Produktion erhöht hat und mehr Gewinne zu verzeichnen sind. Doch was ist mit der sinkenden Lebensqualität der Arbeitnehmer oder möglichen Folgen für die Umwelt? Diese finden überhaupt keinen Anklang im BIP. Die Wirtschaft wächst also, die Lebensqualität jedoch sinkt. Das Wirtschaftswachstum als Wohlstandsindikator stößt an seine Grenzen.
Ein weiteres Beispiel für das Versagen des Wachstums als Indikator für Wohlstand sind viele Entwicklungsländer. Dort lassen sich teilweise enorme Anstiege des Wachstums vernehmen, die Lebensumstände sind trotzdem häufig nicht menschenwürdig. Woran liegt das? Häufig ist eine pervers ungleiche Verteilung von Vermögen in diesen Ländern Ursache dafür. Arbeiter müssen Tag und Nacht für einen Hungerlohn arbeiten. Die Unternehmen profitieren jedoch von diesen Produktionsbedingungen und können höhere Gewinne verbuchen. Hier jedoch von steigender Lebensqualität zu sprechen ist lächerlich.
Besonders in Entwicklungsländern ist es sinnvoller, den Wohlstand am Pro-Kopf-Einkommen zu messen. Auch wenn des Bruttoinlandsprodukt dort ansteigt, bedeutet das nicht gleichzeitig einen Anstieg an Wohlstand. Denn wenn das Bevölkerungswachstum noch schneller ansteigt, ist pro Kopf sogar ein Rückgang an Wohlstand zu erkennen.
Des Weiteren könnte man auch mit Hilfe des sogenannte „Gini-Koeffizienten“ untersuchen, wie „ungleich“ Vermögen in einem Land verteilt ist. So ließe sich ebenfalls ermitteln, ob aus Wirtschaftswachstum gleichzeitig ein Anstieg an Lebensqualität resultiert oder nicht.
Allgemein ist es sinnvoll, keine unilaterale Betrachtungsweise anzunehmen. Ferner ist eine gemischte Betrachtungsweise essentiell, wie sie beispielsweise mit dem „Human Development Index“ möglich ist. Dieser schließt drei Dimensionen des Wohlstandes ein. Dazu gehört das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, das Bildungsniveau und die Lebenserwartung.
Insgesamt lässt sich also zusammenfassen, dass Wirtschaftswachstum als Wohlstandsindikator deutliche Schwachstellen besitzt. Wichtig ist es daher, eine gemischte Betrachtungsweise zu verwenden. Denn so wird nicht nur der wirtschaftliche Erfolg fokussiert, sondern auch Aspekte, die unmittelbar den Lebensstandard implizieren, wie zum Beispiel Lebenserwartung und Bildungsniveau. Trotzdem ist Wachstum für eine funktionierende Volkswirtschaft unerlässlich, da es unabdingbare Voraussetzung für einen ausgeglichenen Staatshaushalt ist. Wachstum um jeden Preis ist jedoch auch der falsche Weg!
von Florian Meer
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