Bei der Europawahl im Mai ist eine erschreckend große Zahl von europaskeptischen Abgeordneten aus fast allen europäischen Ländern ins EU-Parlament eingezogen. Nun stellt sich die Frage, wie diese Entwicklung die politische Arbeit in Brüssel beeinflussen wird und ob diese Parteien überhaupt die Fähigkeit oder die Intention haben, in Europa etwas zu gestalten.

Am Anfang ist es sinnvoll, zwischen den verschiedenen Arten von Parteien zu differenzieren, denn Euroskeptiker*innen sind nicht gleich Euroskeptiker*innen und in den letzten Wochen wurden Begriffe wie Rechtspopulisten, Nationalsozialisten, Rechts- und Linksradikale fröhlich gemischt und durcheinander geworfen.

 

Grundsätzlich gibt es vier Arten von Gruppierungen, die einer stärkeren europäischen Integration kritisch gegenüber stehen:

1. Rechtsradikale Parteien (Front National aus Frankreich, „Morgenröte“ aus Griechenland)

2. Rechtspopulistische Parteien (Ukip aus Großbritannien, AfD aus Deutschland)

3. Konservative (Britsche Tories)

4. linke Parteien (Radikale Linke Syriza aus Griechenland, die Linke aus Deutschland)

Die Ziele und Programme dieser Parteien decken sich zwar zum Teil, sind aber in vielen Punkten sehr unterschiedlich.

 

Die Gründe für ihren Erfolg sind jedoch sehr ähnlich: Frust über die EU-Bürokratie, die schlechte Wirtschaftslage in vielen Ländern und die hohe Arbeitslosigkeit. Die Eurokrise hat ihre Spuren hinterlassen in Europa und ihre Nachwirkungen, wie die harten Sparprogramme der Regierungen, bekommen viele EU-Bürger*innen deutlich zu spüren. Die Europawahl wurde in vielen Ländern zu einer Art Protestwahl gegen die EU aber auch gegen nationale Regierungen und die EU-skeptischen Parteien waren dabei auch für Nichtwähler*innen attraktiv.

 

Bei der Europawahl letzten Monat sind insgesamt ca. 90 von 751 Sitzen an euroskeptische Parteien gegangen, allerdings schließen sie sich nicht alle in einer gemeinsamen Fraktion zusammen.

In einigen Ländern sind diese Parteien sogar die stärkste Kraft geworden, z.B. die rechtspopulistische Unabhängigkeitspartei Ukip mit 26,8% in Großbritannien. Sie steht für einen sofortigen EU-Ausstieg Großbritanniens und ein Referendum darüber spätestens 2016. Damit ist die europäische Idee dort so unpopulär wie in keinem anderen EU-Land.

Doch auch in Frankreich, wo die rechtsradikale Front National unter Marine Le Pen mit 25% stärkste Kraft wurde, steht die europäische Politik stark in der Kritik. Le Pen fordert eine „Rückkehr zu souveränen Nationen“.

In Dänemark wählten 26,6% der Menschen die rechtspopulistische „Dänische Volkspartei“ und im krisengeschüttelten Griechenland holte die Koalition der Radikalen Linken mit ebenfalls 26,6% die meisten Stimmen. Ein weiteres Beispiel für einen geplanten EU-Austritt ist Italien, wo die 5 Sterne-Bewegung 21,1% der Stimmen bekam und ihr Parteichef Beppe Grillo ein Referendum über den Euro und die EU-Mitgliedschaft Italiens forderte.

 

Angesichts dieser sehr starken Ergebnisse euroskeptischer Parteien in anderen europäischen Ländern erscheinen die 7% der AfD in Deutschland plötzlich gar nicht mehr so hoch.

Trotzdem schaffte die AfD es, Deutschland vor der Wahl politisch aufzuwirbeln. Es gab durchaus berechtigte Vorwürfe, die Partei sei rechtsradikal oder zumindest rechtspopulistisch. So hetzten islamfeindliche Populist*innen von der AfD gegen den Bau von Moscheen und einige Parteimitglieder dachten sogar darüber nach, Hartz-IV-Empfängern das Wahlrecht zu entziehen. Außerdem hing die AfD Wahlplakate mit Slogans wie „Wir sind nicht das Weltsozialamt“ auf; mit ähnlichen Slogans warb die NPD auf ihren Wahlplakaten.

Außerdem wurde Parteichef Bernd Lucke heftig kritisiert, weil er diktatorisch in der Partei herrsche und völlig undemokratisch über alles bestimme, ohne seinen Parteigenoss*innen die Möglichkeit der Mitgestaltung zu geben.

Als Verteidigung gegen die Vorwürfe einer rechtspopulistischen Ausrichtung seiner Partei sagte Lucke am Wahlabend letzten Monat, er sehe sie „als eine freiheitliche, als eine soziale und als eine werteorientierte Partei“ und er wolle nicht „mit irgendwelchen rechtspopulistischen Parteien“ zusammenarbeiten.

Nach dem Wahlergebnis von 7% feierte sich die AfD sogar als „neue Volkspartei“.

 

Doch trotz der hohen Anzahl der EU-skeptischen Europapabgeordeneten ist nicht klar, wie viel Einfluss sie auf die Gestaltung der europäischen Politik nehmen werden und überhaupt nehmen können.

Die einzelnen Gruppierungen sind kein einheitlicher Block, sondern sehr heterogen und verfolgen verschiedene Interessen. Es wird schwierig für sie werden, sich auf gemeinsame Ziele und Forderungen zu einigen: Denn während einige für die Rückkehr zu Nationalstaaten plädieren, wollen andere die EU an sich erhalten. So will zum Beispiel die AfD einen Austritt der südeuropäischen Staaten aus der Eurozone erzwingen. Gemeinsam ist ihnen einer Erhebung des Amsterdamer Instituts Motivaction International zufolge jedoch die Wertschätzung von Tradition und Gehorsam.

Vor einigen Tagen wurde die AfD in die ECR, die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten, aufgenommen, die damit nun 62 Abgeordnete stellt und die drittstärkste Kraft im EU-Parlament ist. Andere Mitglieder dieser Fraktion sind zum Beispiel die britischen Tories unter David Cameron, die nationalkonservative PiS aus Polen, die rechtspopulistische dänische Volkspartei und als anderes deutsches Mitglied die Familien-Partei. Interessant ist, dass David Cameron sich gegen die Aufnahme der AfD ausgesprochen hatte, jedoch überstimmt wurde. Auch hier erkennt man die Uneinigkeit dieser EU-skeptischen Fraktion. Wie sie sich auf Gestaltungsmöglichkeiten dieser Fraktion auswirken wird, bleibt abzuwarten.

 

Außerdem haben europafreundliche Parteien trotzdem noch die breite Mehrheit im Parlament. Eine Auswirkung könnte aber sein, dass die Mitte aus Grünen/EFA, den Sozialdemokraten, Konservativen und der liberalen ALDE näher zusammenrückt, um die für Beschlüsse notwendigen Mehrheiten zu bilden.

Doch der Einzug der EU-Skeptiker*innen hat vielleicht nicht nur negative Seiten für die europäische Politik: Die Vorschläge und Beschlüsse der großen Fraktionen müssen den Eurokritiker*innen gegenüber nun besser begründet werden und die großen Parteien sind gezwungen, stärker für ihre politischen Vorstellungen zu werben. Das könnte zu einer höheren medialen Aufmerksamkeit für das Europaparlament und damit letztendlich zu mehr Transparenz und Nähe zum/zur europäischen Bürger*in führen.

von Julia Brinner