Mit dieser Europawahl hat sich das Fenster zu einer demokratischeren Staatengemeinschaft geöffnet. Um es zu nutzen sollten die europäischen Grünen Juncker als Kandidat für das Amt der*des Kommissionspräsident*in unterstützen
ein Kommentar von Justus Baumann
Keine Frage – der konservative Jean-Claude Juncker ist aus der Sicht eines*einer Grünen kein Traumkandidat. Viel zu wenig decken sich Junckers Ansichten mit den grünen Positionen, sei es bei Flüchtlingspolitik, TTIP oder einer gentechnikfreien EU. Im ersten Moment scheint deshalb seine Unterstützung zu fordern unsinnig.
Aber bei der anstehenden Wahl der*des Kommissionspräsident*in geht es schon längst nicht mehr nur um eine Personalie, sondern um die Frage, wer über Europas Zukunft bestimmen soll; das Votum der Wähler*innen oder weiterhin weitestgehend die Regierenden.
Spätestens seit dem 25. Mai ist klar, dass dem Projekt Europa eine zunehmende Zahl an EU-Skeptiker*innen und Rechtsradikalen entgegenstehen. Ihre Vorstellungen reichen von einem „Europa der Vaterländer“ (Hans-Olaf Henkel, Afd), bis zum EU-Austritt.
Vor der Wahl stand das Versprechen, dass der*die Spitzenkandidat*in, welche*r der größten Fraktion angehört, Kommissionspräsident*in wird. Nach der Wahl war klar; weder Ska Keller noch Martin Schulz gehören der größten Fraktion im Europaparlament an. Diese stellt die EVP und ihr Spitzenkandidat, Jean-Claude Juncker, müsste folglich zum Kommissionspräsidenten gewählt werden.
Im Augenblick scheint es jedoch gut möglich, dass dieses Versprechen zugunsten der Machtspiele der Regierungschef*innen geopfert wird. Das Ergebnis des Treffens von Merkel, Cameron, Rutte und Reinfeldt am 9.6.14 lässt diese Option zunehmend realistisch erscheinen. Dies wäre jedoch in meinen Augen ein fataler Schritt, der bei der*dem Wähler*in die Begeisterung für die EU weiter dämpfen dürfte.
Auch Merkel hatte sich zuerst nicht eindeutig für „ihren“ Spitzenkandidaten Juncker aussprechen wollen und dies erst nach großem öffentlichen Druck getan.
Sie kennt den ehemaligen luxemburgischen Premierminister schon aus dem Europäischen Rat und weiß, dass Juncker für sie kein einfacher Kommissionspräsident würde. Denn Juncker gilt nicht als angepasster Ja-Sager, sondern als selbstbewusst genug, um auf eigenen Positionen zu beharren. Genau das fürchtet Merkel, die die Richtung in Europa lieber weiterhin wie gewohnt hinter verschlossenen Türen ausverhandeln möchte. Die versprochene demokratische Wahl des Kommissionspräsidenten, wenn auch nur in indirekter Form, hatte bei vielen die Hoffnung auf eine demokratischere europäische Union geweckt. Die national Regierenden schienen bereit, einen Teil ihrer Macht an den*die Wähler*in zu übertragen.
Aktuell aber sieht es so aus, als wäre es den Regierenden am liebsten, wenn alles beim Alten bliebe.
Das widerspricht jedoch der Vorstellung von einer auch nach außen starken EU, einer EU die mehr ist als ein Bürokratieapparat, einer EU die wieder vermag ihre Bürger*innen zu begeistern und die ihren Werten und dem ihr verliehenen Friedensnobelpreis gerecht wird. Um wichtige Themen wie den Klimawandel oder die Menschenrechte auch über die Grenzen der Europäischen Union hinweg kraftvoll zu vertreten und die die Möglichkeit zu ergreifen wirklich etwas zu verändern, müssen die Nationalstaaten noch stärker Teile ihrer Kompetenzen an Brüssel abgeben. Ein*e starke*r Kommissionspräsident*in wäre ein erster Schritt zu einem Europa, in dem die Nationalstaaten zunehmend unbedeutender werden, das Initiativrecht nicht mehr nahezu ausschließlich bei der EU-Komission liegt und die*der Bürger*in mit seiner Stimme nicht nur alle 5 Jahre entscheidet. Diese Vision ist in Gefahr, wenn es den Regierungschef*innen gelingt einen bequemere*n, mit größer Wahrscheinlichkeit konservativere*n Kandidat*in zu bestimmen. Entscheidend ist am Ende das Europäische Parlament, es muss den Vorschlag des Europäische Rates absegnen. Je mehr Fraktionen sich für Juncker aussprechen, desto größer wird der Druck auf den Europäischen Rat Juncker für das Amt vorzuschlagen.
Selbstverständlich ist es wichtig, dass die Fraktion der European Green Party für ihre Positionen im Parlament streitet und sie auch gegenüber der*des zukünftigen Kommissionspräsident*in deutlich formuliert, aber jetzt ist nicht die Zeit für Dogmatismus. Die Parlamentarier*innen sind gefragt, klug und im Interesse der europäischen Demokratie zu handeln, um zu zeigen, dass sie sich nicht von den Regierenden in Großbritannien, Ungarn und Co erpressen lassen. Denn wir brauchen ein Parlament, das nicht abnickt was die Staatschef*innen diktieren.
Unter den gegebenen Umständen und den Fraktionsverhältnissen im europäischen Parlament wäre die Unterstützung Junckers den Grünen Idealen, bezüglich der demokratischen Zukunft des Staatenbunds, aus meiner Sicht hilfreicher als eine zu lange Prüfung des Kandidaten.
Reclaim Europe, das war unser Wahlslogan, dieser Schritt böte die Chance „unser Europa“ ein kleines Stück zurück zu gewinnen.
Scheitert der Versuch die*den Kommissionspräsident*in frei zu wählen, schließt sich dieses Fenster und es bleibt unklar wann es sich wieder öffnet.
Und wenn es gelingt wäre die Wahl für den Kommissionsvorsitz nur ein erster Schritt der noch unklaren europäischen Zukunft.
Eins jedoch wäre klar; mit Jean-Claude Juncker hätte die EU einen unbequemen und überzeugten, wenn auch streitbaren, Europäer als Kommissionspräsidenten.
Schreibe einen Kommentar