Hinweis: In diesem Text geht es um Bodyshaming, Essstörungen, selbstverletzendes Verhalten und Psychotherapie.


 

„Warst du im Urlaub mit All-Inclusive Buffet?“

„…ja?“

„Sieht man.“

Damals war ich vielleicht 14 oder 15 Jahre alt und bereits knietief in einer Essstörung. Es war das Jahr, in dem ich keine Mahlzeit ohne Schuldgefühle zu mir genommen habe, jeder Bissen war ein Beweis für meine Schwäche. Aber offensichtlich war ich immer noch nicht dünn genug. Diese Worte sind geblieben. Als negative Gedanken, als kleine Stimme, die ich über Jahre jeden Tag mit mir herum getragen habe und als Narben von Wunden, aus denen ich versucht habe, die Stimmen raus zu lassen.

Ich habe hunderte dieser Geschichten zu erzählen. Geschichten, in denen Fremde, Bekannte, Familienmitglieder und sogar Freund*innen bedacht oder unbedacht meinen Körper kommentiert haben. Zu klein, zu dick, zu hässlich. Ich war nie einfach nur okay. Dachte ich zumindest.

Heute weiß ich:

Diese Leute haben Unrecht.

Die Stimmen haben Unrecht.

Ich bin okay.

Mein Körper ist okay.

Die Narben auf meiner Haut und in mir erinnern mich daran.

Ich habe irgendwann aufgehört, meinen Körper systematisch zu zerstören, denn egal welche Form mein Körper hatte, ich war doch sowieso immer unglücklich. Und schnell merkte ich, diese ganzen miesen Kommentare hatten nichts mit dem tatsächlichen Aussehen meines Körpers zu tun. Natürlich sind die Stimmen nicht verschwunden, genau so wie die Kommentare vermutlich nie aufhören werden. Aber nach Jahren an Unterstützung von lieben Menschen sowie Therapie und einer verdammt großen Portion harter Arbeit bin ich so weit, dass ich Essen nicht mehr wiege, erbreche, abtrainiere oder hasse.

Mein Körper hat sich verändert. Die Krankheit hat ihn dünn gehalten und in den letzten Jahren hat er begonnen, die Form anzunehmen, die er immer haben wollte. Diese Form ist weicher und nimmt mehr Raum ein. Das ist in Ordnung so. Die Kommentare, die andere Menschen über meinen Körper machen, haben sich auch verändert. Und das ist auch in Ordnung so. Denn ich weiß ja jetzt, dass diese Bemerkungen sehr viel mehr über die Menschen, von denen sie kommen, aussagen, als über mich.

Trotzdem bin ich wütend.

Wütend, weil Menschen denken, sie haben das Recht, andere Körper zu kommentieren.

Wütend, weil sie nicht wissen, dass diese Bemerkungen etwas anrichten können.

Wütend, weil alle alten Fotos von mir ein Zeugnis dafür sind, was diese Kommentare für einen Effekt haben können.

Wütend darüber, dass ich diesen Text anonym schreiben muss, weil meine psychischen Krankheiten immer noch als Schwäche gesehen werden und mich in meinem gewählten Berufsfeld „nicht einstellbar“ machen würden.

Wütend, weil ich mein Leben lang aufbauen muss, was andere zerstört haben.

Diesen Text zu schreiben, war sehr schwer. Aber ich glaube, dass es wichtig ist, diese Erfahrungen zu teilen. Vielleicht denken einige Menschen nach dem Lesen dieses Artikels noch einmal nach, bevor sie etwas Unbedachtes sagen, dass eine andere Person sehr verletzen kann. Und vielleicht merken andere, dass sie nicht allein sind. Und dass sie okay sind.


 

Der Text gehört zu unserer Reihe zum Thema Bodyshaming. Die*Der Autor*in möchte anonym bleiben.