Wenn man von der europäischen Union spricht fällt häufig der Begriff der ‚Werteunion‘ oder auch ‚Wertegemeinschaft. Europa sei nicht einfach ein wirtschaftlicher Verbund, sondern viel eher ein Zusammenschluss aus Staaten, die sich zur Einhaltung der ‚europäischen Werte‘ verpflichten. Für die einen sind diese christlich bzw. christlich-jüdisch, wobei sie sich auf die Vergangenheit und die damit verbundene starke Prägung durch die (katholische) Kirche berufen. Für andere bedeuten europäische Werte Solidarität und Menschenrechte.

Wir leben im 21. Jahrhundert. Es ist ein neues Jahrtausend angebrochen. Vielerorts spricht man von Fortschritt, Innovation und technischer Revolution. Es könnte ein neues Zeitalter werden, das sich von alle dem, was bisher geschah. Tag für Tag zeigt der Mensch wozu er fähig ist, schafft neues, erfindet sich selbst neu, entfaltet sich und sein Potenzial wird sichtbar. Eigentlich bietet uns unser Planet herausragende Bedingungen, um glücklich zu sein und in Wohlstand zu leben. Eigentlich. Doch schaut man auf die Fakten, die Bilder, die um die Welt gehen, dann sieht man Orte die förmlich die Hölle auf Erden widerspiegeln. Menschen geben alles auf, was sie haben, riskieren ihr Leben, um einen Neuanfang zu wagen. Ein Neuanfang in Frieden und ohne Angst. Sie erwarten ein Kana’an, sie erzählen sich von einem Ort, an dem keiner verhungert oder Angst vor Verfolgung und Intoleranz haben muss. Alle träumen sie von Europa.

Europa – was ist das eigentlich? Kontinent, Staatenverbund, Wirtschaftsgemeinschaft oder vielleicht sogar Werteunion? In all diesen Begriffen steckt ein bisschen Wahrheit drin. Geographisch gesehen spricht man zwar von Euroasien, doch bereits in der griechischen Mythologie fällt der Begriff Europa. Der Staatenverbund spiegelt sich in Form der Europäischen Union wieder, ein Zusammenschluss verschiedener europäischer Staaten, um politisch zu kooperieren. Redet man von der Wirtschaftsunion, dann kann man beispielsweise auf die Nachkriegszeit schauen, in welcher die Montanunion, eine reine Wirtschaftsgemeinschaft einiger europäischer Staaten war. Und dann gibt es noch den Begriff der Werteunion. Selten schien er so umstritten wie jetzt, selten war es so zynisch Werte mit der EU zu verbinden.

Deutschland exportiert Rüstung und bereichert sich daran, Ungarn baut einen Zaun und schottet sich von Flüchtlingen ab, die Slowakei lehnt die Aufnahme von Flüchtlingen muslimischen Glaubens ab und überall scheitert die EU an Menschenrechten, Menschlichkeit und Solidarität. Wenn in einem Zeltlager für Flüchtlinge in Hamburg die Krätze ausbricht, traumatisierte Flüchtlinge teils unter freiem Himmel schlafen müssen, nicht therapiert werden oder sogar verdursten (mitten in Europa), dann kann man nicht von Werten sprächen. Es ist wahrlich ein Paradox, wie Flüchtende von Europa denken, weshalb sie hierhin kommen und was sie letztendlich hier erleben.

Doch ist Europa nun gescheitert?

Nein, Europa ist und bleibt die Zukunft. Es zeigt, dass ehemalige Feinde, Seite an Seite für eine gemeinsame Sache einstehen. Europa bietet die Möglichkeit globale Probleme gemeinsam anzugehen. Der Einzelne kann nur wenig bewegen, doch in einer Gemeinschaft kann man mehr bewegen. Das trifft auch auf Europa zu. Klimawandel, Flüchtlingspolitik, Menschenrechtsverletzungen, Kriege, Hunger, Unterdrückung – die Liste von Problemen ist gewaltig. Doch wenn nun die Großen dieser Welt nicht zusammenrücken und ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, dann steht nicht nur Europa, sondern unsere gesamte Welt vor dem Abgrund. Dann wird das 21. Jahrhundert alles andere als ein neues Zeitalter des Glanzes und Wohlstandes, sondern ein Zeitalter des Auseinanderbrechens und Scheiterns. Es liegt in unserer Hand wohin wir gehen. Mit oder ohne Werte.

Fabian Jaskolla