Dzidzernagapert, the Armenien genocide memorial, by z@doune - CC BY 2.0 - http://gruenlink.de/y2q

Dzidzernagapert, the Armenien genocide memorial, by z@doune – CC BY 2.0 –
http://gruenlink.de/y2q

SPUNK: Firat, du warst einer der Antragsteller*innen auf dem BuKo, die sich mit ihrem erfolgreichen Antrag[1] für die Anerkennung des türkischen Völkermordes an den Armenier*innen eingesetzt haben. Was hat dich persönlich dazu gebracht, dich dafür zu engagieren?

Firat: Die Anerkennung des Völkermordes an den Armenier*innen beschäftigt mich schon seitdem ich mich mit Politik beschäftige – und zwar mit 16. Mein Zugang zum Völkermord war natürlich nicht nur politisch begründet, sondern auch biographisch: Meine Eltern kommen aus der kurdischen Provinz Semsûr. In dieser Provinz gab es auch eine kurdische Unterstützung an dem Völkermord an den Armenier*innen. Im Auftrag der Jung-Türken verfolgten auch Kurd*innen Armenier*innen. Doch zu meiner Biographie gehört natürlich nicht nur die kurdische Herkunft, sondern auch mein Geburtsort Köln. Mit der Kenntnis des Deutschen Reiches deportierten die Jung-Türken Armenier*innen auf grauenvolle Art und Weise in die Wüste – deutsche Diplomaten und Offiziere hätten die armenische Aghet verhindern können! Meine “deutsche Sicht” auf die Aufarbeitung des Völkermordes war zunächst von einer Selbstverständlichkeit geprägt – wieso sollte denn auch Deutschland den Völkermord an den Armenier*innen in Frage stellen? Dass es jedoch gerade in Deutschland nicht selbstverständlich wäre, den Völkermord an den Armenier*innen als solchen zu bezeichnen, zeigten die letzten Jahre, Monate und Wochen. Beschämend, oder?! Es war für mich also eine Frage eines interkulturellen Verantwortungsgefühls.

SPUNK: Sprichst du dieses interkulturelle Verantwortungsgefühl den Teilen der türkischen Gesellschaft ab, die sich gegen die Anerkennung stemmen? Oder wie entgegnest du der Kritik aus diesen Reihen, dass u.a. der Begriff ‘Völkermord’ schärfer definiert werden sollte?

Firat: Naja, ihre Kritik richtet sich nicht dahindgehend aus, dass der Begriff “Völkermord” schärfer definiert werden sollte, sondern sie leugnen historische Tatsachen aus nationalistischen und politisch-religiösen Motiven ab. So ruft der türkische Ministerpräsident Davutoglu seine Anhänger*innen in der deutschen Diaspora dazu auf, sich aktiv gegen die Einführung der Aghet in die deutschen Lehrpläne einzusetzen. Und diejenigen, die sich gegen die Anerkennung des Völkermordes stemmen, agieren verantwortungslos gegenüber den Kindern und Enkeln der verfolgten und ermordeten 1 Mio. Armenier*innen. Dennoch denke ich, dass wir klar differenzieren sollten:

Es gibt immer lautere Stimmen aus der türkischen Zivilgesellschaft, die eine Aufarbeitung wollen und auch schon in Gang setzen – diese gilt es eben auch aus Deutschland zu unterstützen!

SPUNK: Wie stellst du dir eine solche Unterstützung aus Deutschland – und womöglich anderen Ländern – konkret vor? Du hast schon angerissen, dass der Genozid in die Lehrpläne eingearbeitet werden sollte. Wie könnte Grenzen überwindende Solidarität ganz konkret noch aussehen?

Firat: Okay, jetzt müsste ich kurz ausholen, denn man kommt an dieser Frage schlecht vorbei, ohne die besondere außenpolitische Beziehung zwischen der Türkei und Deutschland zu erläutern: Diese ist nämlich von einer weitgehenden historischen Zusammenarbeit, also schon zwischen dem Osmanischen Reich und dem Deutschen Reich, geprägt. Aber auch die heutige große türkische Community in Deutschland führt politisch dazu, dass die Türkei besonders auf Deutschland schaut. Infolge dessen war es ja auch für die Bundesregierung eine grundsätzliche Frage, ob sie sich nun an die türkische Staatsräson halten – also den Völkermord relativieren und weiterhin leugnen – oder eben sich auf die Seite der demokratischen Zivilgesellschaft stellen und diese mit der klaren Bezeichnung “Völkermord” stärken. Dass sich nun die Bundesregierung zu der neuen Formulierung “[das Schicksal der getöten Armenier] steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde“ durchgerungen hat, ist meiner Meinung nach schon ein sehr wichtiger und großer Schritt! Diese Formulierung unterstützt die demokratische Zivilgesellschaft in der Türkei und die Bundesregierung nimmt ihre Vorbildfunktion wahr. Jetzt sollte die deutsche Diplomatie aber auch zusehen, dass der Umgang mit Genozid und Gewaltherrschaften auch auf der diplomatischen Ebene mit der Türkei thematisiert wird. Aber diese Aufarbeitung zu unterstützen, ist natürlich nicht nur die Aufgabe der Bundesregierung oder des Bundestages, sondern in der Tat von uns allen – womit ich beim zweiten Teil der Frage wäre: Wir, in Deutschland, haben eine langjährige Erfahrung mit der Geschichtsaufarbeitung – diese ist breit angelegt – von der kulturellen, hinüber zu wissenschaftlichen, bis zu gesellschaftlichen Initiativen. Wir sollten uns fortan dafür einsetzen, dass dieser Erfahrungsaustausch – im internationalen Kontext – mit Initiativen aus der Türkei, die den Völkermord aufarbeiten möchten, stattfindet.

Wir stehen nämlich auf Seite derer, die für eine Aufarbeitung sind und sich für einen türkisch-armenischen Versöhnungsprozess einsetzen. Das ist für mich ein internationales Solidaritätsverständnis!

SPUNK: Was glaubst du, was der Streit um die Anerkennung des Genozids für Auswirkungen auf die türkische Position gegenüber Europa und umgekehrt hat?

Firat (lacht): Nach einem Monat kann mensch guten Gewissens sagen: Nichts. Die AKP-Regierung in der Türkei betonte zwar immer wieder, dass sie ihre Diplomaten abziehen würde – was sie auch letztendlich in einigen Staaten gemacht hat – aber dies in Deutschland zu unternehmen, das hat sich die Türkei nicht getraut. Auf der anderen Seite besteht für die Türkei jetzt eine Chance, ihre Staatsdoktrin zu überdenken oder eine eigene gewollte weitere politische Isolation in Kauf zu nehmen. Wobei – das wird die Türkei auch nicht machen, denn die Beziehungen zur EU und einzelnen europäischen Staaten sind ihr auch wichtig. Jetzt müsste die Türkei auch begreifen, dass auch intensive diplomatische Beziehungen mit Armenien nur von Vorteil für die Türkei selbst und die ganze Region sein kann.

Du merkst, die Türkei muss sich früher oder später ihrer eigenen Geschichte stellen. Das ist wohl “das Schicksal” einer jeden Nation.

SPUNK: Auf dass du recht hast! Firat, vielen Dank für das Interview.

Firat: Ich danke dem SPUNK! Und vielen Dank auch an den Bundesvorstand, der den Antrag zum Völkermord an den Armenier*innen zur Parteiposition der Grünen gemacht hat.

Firat  Yaksan ist 23 Jahre jung und studiert an der Uni Kassel Politikwissenschaft und Wirtschaftswissenschaft. Er war Mitglied im Landesvorstand der GJ NRW von 2012 bis 2013 und kommt ursprünglich aus dem Kreisverband der GJ Köln.

[1] Der BuKo-Antrag: https://www.buko.gruene-jugend.de/wp-content/uploads/2015/04/v-17_-voelkermord-an-den-armenier_innen-anerkennen.pdf

Das Interview erschien erstmals im SPUNK, dem Mitgliedermagazin des GJ-Bundesverbandes.