„Fuck Gender!” liest man gelegentlich mal in der großen, bunten Welt des Internets. Auch bei der Grünen Jugend haben wir diesen Slogan vor einiger Zeit mal verbastelt: Im „Queer_feministischen Manifest“[1]. Hinter der provokant anmutenden Parole steckt die Forderung nach der Abschaffung von Geschlecht als soziale Kategorie, die einigen Menschen vielleicht im Zusammenhang mit der Idee einer Post-Gender-Gesellschaft bekannt vorkommt.

Als ich bei der Grünen Jugend eingestiegen bin, habe auch ich diese Vorstellung mit der Zeit zu einem meiner Ideale erhoben, dass es keine Geschlechterrollen mehr gibt, dass Geschlecht nicht mehr relevant ist.

Mir fiel auf, was es für Vorteile mit sich bringen würde, ja wie cool es für eigentlich alle Menschen wäre, wenn einfach diese ganze Sache mit Geschlecht irrelevant wäre.

Keine Homophobie mehr, keine Trans*phobie mehr, keine (klassischen) Geschlechterrollen mehr – ganz einfach kein Sexismus, also keine Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, mehr.

Aber irgendwann höre ich dann immer wieder mitten in meinen Tagträumen auf, mir diese wunderbare Welt vorzustellen, und kehre gedanklich zurück in meinen Alltag. Mein Alltag, in dem es immernoch große mediale und politische Ereignisse sind, wenn Trans*-Menschen im Fernsehen auftreten, sich Homosexuelle Sportler*innen outen oder Menschen für eine geschlechtergerechte – und ganz einfach sachlich korrekte – Bildung von Schüler*innen im Bereich des Sexualkunde-Unterrichts eintreten.

Das soll die Welt sein, in der es irgendwann hoffentlich keine Geschlechterkategorien mehr gibt? Wie soll das gehen, so von heute auf morgen?

Auf unserer letzten Landesmitgliederversammlung in Gelsenkirchen waren zwei Menschen von der Kampagne „Dritte Option“[2] bei uns. Das sind super Leute, die derzeit versuchen, eine dritte Option bei der amtlichen Eintragung des Geschlechts zu erstreiten. In einem kleinen Workshop habe ich die beiden gefragt, was sie von der Post-Gender-Idee halten, also quasi von der Idee einer Gesellschaft, in der wir diese ganze Gender-Kategorisierungen hinter uns gelassen haben. Ihre Antwort hat mich erstaunt. Sie hielten beide relativ wenig davon, zumindest in der aktuellen Situation. Sie meinten, es sei vielmehr genau das Gegenteil nötig. Wir sollten versuchen, Identitäten momentan weiterhin an Geschlechtern festzumachen, zwar nicht an den klassischen Geschlechterrollen, aber dennoch an denjenigen Formen von Geschlechtern, die uns gefallen, die wir für uns schön finden. Genau das sei es, was derzeit wichtig wäre für insbesondere diejenigen Menschen, deren Geschlechteridentitäten außerhalb der tradierten Muster liegen, also Inter*- und Trans*-Menschen sowie Homosexuelle, und die genau deshalb derzeit noch diskriminiert werden, weil sie öffentlich einfach selten sichtbar sind. Diese Sichtbarmachung müsste in den Augen der beiden Menschen von der „Dritte[n] Option“ der eigentlich erste Schritt sein.

Das hat mich verblüfft. Irgendwie hatte ich mich immer schon an diesem riesigen Kontrast zwischen meinem Post-Gender-Ideal und meinem von Alltag voller Sexismus gestoßen. Und plötzlich war da der kleine Gedanke, der mir gefehlt hatte.

Natürlich ist das Auflösen von Geschlechterrollen und -kategorien weiterhin mein Ziel. Aber ich glaube, das ist ein sehr langfristiges. Zuerst müssen wir versuchen, genau das Gegenteil zu bewirken: Wir müssen allen Menschen klar machen, dass wir unsere ganz eigenen Vorstellungen von unseren Geschlechtern haben. Dass nicht „Mann“ gleich „Mann“, oder „Frau“ gleich „Frau“ ist. Dass es vor allem nicht nur diese beiden Kategorien gibt, an denen sich alle Menschen messen lassen müssen, sondern dass diese beiden Punkte nur irgendwo in einem völlig willkürlich gesetzten, mehr oder minder zufällig historisch entsprungenen Spektrum zu verorten sind. Dass es rund um das, was sich sonst viele so gerne als „männlich“ und „weiblich“ vorstellen, noch so viele andere tolle Möglichkeiten gibt, sich geschlechtlich zu definieren. Dass diese ganzen Bezeichnungen wie „trans“ oder „inter“, die im Grunde nur auf eine merkwürdige Position zwischen diesen beiden tradierten Geschlechterkategorien hindeuten, nicht irgendwas sind, was in sozusagen negativer Defintion zu „männlich“ oder „weiblich“ verstanden werden kann, sondern was eigenständiges sind, was für sich steht.

Wenn wir das geschafft haben – irgendwie, irgendwo, irgendwann –, dann erledigt sich die ganze Nummer mit dem Abschaffen von diesen Kategorien von ganz allein. Denn dann wird offensichtlich, wie willkürlich „Geschlecht“ eigentlich ist.

99 red balloons - By: James Hill - CC BY 2.0

99 red balloons – By: James HillCC BY 2.0

 

Dieser Artikel stammt von Marcel aus der Redaktion.