Am Mittwoch , den 26.02.14 erklärte das Bundesverfassungsgericht die in Deutschland bis dato rechtskräftige Drei-Prozent-Klausel bei Europa-Wahlen für verfassungswidrig. Diese war im Oktober 2013 vom Bundestag beschlossen worden, nachdem zwei Jahre zuvor die damals geltende Fünf-Prozent-Hürde mit derselben Begründung als nichtig erklärt wurde. Solch eine Hürde verstoße nämlich sowohl gegen die Chancengleichheit politischer Parteien als auch gegen die Wahlrechtsgleichheit.

Dass die Chancengleichheit politischer Parteien durch diese Entscheidung begünstigt wird, ist leicht ersichtlich. Und doch auch gut so. Das stärkt ja immerhin die Demokratie. Oder?

Nun ja, ganz so einfach ist es vielleicht nicht. Natürlich bekommen bei der kommenden Legislaturperiode nun auch kleinere Parteien ein bis zwei der deutschen Sitze im Europaparlament. Aber zu den begünstigten Parteien zählen nicht nur die Piraten, die Tierschutz- oder die Rentner-Partei, sondern ebenso die AfD oder die NPD, also Europa-Skeptiker bis hin zu Europa-Gegnern. Ob die Entscheidung auf dieser Grundlage zu befürworten ist, oder nicht – das mag jeder für sich selbst entscheiden. Fakt ist, sofern Parteien verfassungskonform sind, müssen, egal wie klein sie sind, die für sie abgegebenen Stimmen genauso stark gewichtet werden, wie es Stimmen für ‘große’ Parteien werden. Fakt ist aber auch, dass das Europäische Parlament durch Aufhebung von Prozent-Hürden und den damit folgenden Splitterparteien instabiler werden könnte und sein momentan steigender Einfluss auf Entscheidungen der Europäischen Union ins Stocken geraten könnte. Aus diesem Grunde forderte das Parlament selbst im November 2012 die Mitgliedsstaaten dazu auf, für angemessene Mindestschwellen zu sorgen, um verlässliche Mehrheiten im Parlament zu haben.

Bedeutet die Entscheidung jetzt also mehr oder weniger Demokratie für Europa? Eine schwierige Frage. Einige Demokratie-Befürworter sprechen sich dafür, andere ‘Demokratie-Befürworter’ dagegen aus.

Auch wenn länderübergreifende Fraktionen aus verschiedenen Parteien gebildet werden wie beispielsweise die „Progressive Alliance of Socialists and Democrats“ (SPD), stimmen die Mitglieder des Europäischen Parlaments zumeist länderspezifisch ab. Das heißt, die SPD-Abgeordneten, CDU-Abgeordneten, Grünen-Abgeordneten usw. stimmen meistens gemeinsam im „deutschen Interesse“ ab. Das mag nicht nur erst mal seltsam wirken, weil es das deutsche Interesse vermutlich gar nicht gibt, sondern außerdem weil es nicht sonderlich demokratisch ist. Wir wählen doch unterschiedliche Parteien, da wir davon ausgehen, dass sie unterschiedliche Meinungen vertreten. Soll das also heißen, dass es vollkommen egal ist, wen wir wählen, weil es sowieso immer nur um „das deutsche Interesse“ geht? Soll die EU also ein Machtkampf ihrer Mitgliedsstaaten sein? Ist es nicht langsam endlich an der Zeit, europäisch und nicht nationalistisch zu denken?

Schließlich stellt sich noch die Frage der Wahlrechtsgleichheit. Die Stimme jedes Wählers soll laut Grundgesetz gleich viel Einfluss auf die Zusammensetzung eines Parlaments haben. Die Aufhebung der Prozent-Hürde in Deutschland mag zwar alle von Deutschen abgegebenen Stimmen gleichwertig machen, das ändert aber nichts daran, dass das Gewicht der eigenen Stimme, je nachdem welcher Nationalität man offiziell angehört, variiert. Das liegt daran, dass jedes Land ein bestimmtes Kontingent an Sitzen im Europaparlament zugeschrieben bekommt, welches abhängig, aber nicht proportional, von / zu seiner Einwohnerzahl ist. In Deutschland kamen bei der letzten Europawahl beispielsweise 815.222 Wähler auf einen Abgeordneten, in Malta währenddessen 69.601 Einwohner auf einen Abgeordneten. Die Wahlrechtsgleichheit scheitert hier also vor allem an den Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern und nicht an denen innerhalb eines Landes. Sicherlich ist es gut, dass durch dieses System Alleingänge der großen Länder verhindert werden, nur sollte es bei einem Projekt wie Europa – wie bereits erwähnt – doch eigentlich nicht um einen Kampf zwischen Nationalitäten gehen, sondern diese überwunden werden.

Könnte es dann nicht langsam mal an der Zeit sein, das (Wahl-)System auf europäischer Ebene dahingehend zu reformieren, dass wir in Europa mehr echte als Schein-Demokratie und -Gleichheit haben, anstatt sich auf Bundesebene darüber zu streiten, ob ein Land durch geringfügige Anpassung an die eigene Verfassung den nationalen Einfluss in einem Verband verliert, der sich für einen „sozialen und territorialen Zusammenhalt und Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten“ ausspricht?

 

von Katharina Weiler