Es ist etwa vier Monate her, seit ich Minimalismus und Konsumkritik in mein Leben gelassen habe und es ist Zeit, ein erstes Fazit zu ziehen. Ich könnte jetzt schreiben, wie wunderbar und großartig alles ist und dass ich ein ganz neuer Mensch bin, weil ich bewusster konsumiere. Allerdings wäre das gelogen. Viele Dinge, wie beispielsweise das Aussortieren, sind mir sehr leicht gefallen und auch die Shopping Ban funktioniert recht gut. Ich bin mittlerweile so weit, dass ich ab und zu online oder in Geschäften stöbern kann, ohne am Ende auch etwas zu kaufen. Window Shopping macht Spaß, auch wenn mensch am Ende keine vollen Tüten nach Hause trägt. Kleidung habe ich seit Ende November fast gar keine gekauft, lediglich ein Paar Winterschuhe hat es über eine Tauschparty zu mir nach Hause geschafft (danke, Lisa-Marie) sowie eine faire Ökostrumpfhose aus dem Avocado Store (Und oh mein Gott, wisst ihr was fair gehandelte Strumpfhosen kosten?! Die Dinger sind verdammte Luxusartikel!). So weit, so gut. Aber (ihr wusstet, dass ein aber kommt, oder?):

Es war ehrlich gesagt sehr anstrengend und nervig, für jedes Kleidungsstück, das ich in den letzten Monaten aussortiert habe, ein neues Zuhause zu finden und ich habe auch immer noch einen kompletten Wäschekorb voll mit Dingen, die in liebende Hände gegeben werden möchten (Die Spendenannahmestellen für Geflüchtete brauchen Winterkleidung und keine rüschigen schwarzen Sommerkleidchen oder Korsetts), aber ein Großteil ist geschafft. Doch zu gucken, wie und wo man jeden einzelnen verdammten Gegenstand und jedes einzelne Kleidungsstück am besten, sinnvollsten und nachhaltigsten aus seinem Leben verbannt, ist extremst zeitaufwändig. Wegwerfen kommt nicht in Frage, nicht alle Teile lassen sich verkaufen und spenden ist oft ganz schön aufwändig, wenn der nächste Oxfam Laden nicht in der eigenen Stadt ist. One more Wäschekorb to go.

Eine große Frage, die sich mir seit etwa einem Monat immer wieder stellt, ist „Und jetzt?!“. Was passiert nach der großen Aufräumerei, wie leben Minimalist*innen im Alltag? Irgendwann gibt es nichts mehr, was man abgeben kann oder möchte und jetzt einfach in Zukunft nur noch das Nötigste zu kaufen erscheint mir irgendwie… zu wenig. Ich glaube an ganz oder gar nicht, ich nehme zehn Aufgaben und Ehrenämter an, wenn ich eigentlich schon überarbeitet bin, und ich suche mir neue Herausforderungen, wenn ich eigentlich noch mitten im aktuellen Abenteuer stecke. Und genau so ist es auch beim Minimalismus: Ich stecke bis zum Hals in selbstgestellten Aufgaben, die ich alle mehr oder weniger erfolgreich durch meinen Alltag jongliere.

Aber alles der Reihe nach.

Wenn man sich im Internet auf Blogs und Youtube Kanälen zum Thema einfaches Leben und Minimalismus bewegt, stößt man sehr schnell auch auf das Konzept Zero Waste. Dahinter versteckt sich die Idee, möglichst müllfrei zu leben, also möglichst wenig Abfall zu produzieren. Und genau da offenbarte sich mir eine neue Herausforderung. Ich achte bei meinem Konsum jetzt also nicht nur darauf, ob mir ein Produkt wirklich gefällt/ich es wirklich brauche und ob es fairtrade und ökologisch okay ist, sondern auch darauf, dass es so verpackungsfrei wie nur irgendwie möglich ist. Und das ist… schwer. Um es mal beschönigt zu sagen. Ich habe mich mehrere Stunden in das Thema Recycling in Deutschland eingelesen, gelernt, wie viel Prozent welcher Rohstoffe in welcher Form wiederverwertet werden, mein komplettes Umfeld damit genervt (sorry not sorry) und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich vor allem Müll für die gelbe und die graue Tonne einsparen möchte. Ich habe über Papier nachgedacht, aber ganz ehrlich, ich bin Studentin, ich habe schlichtweg einfach nicht immer die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ob ich dieses oder jenes Arbeitsblatt wirklich haben möchte, und Hausarbeiten auzudrucken ist an meiner Uni auch nicht optional, sondern Pflicht, um zu bestehen. Also bleibe ich bei Verpackungen und Restmüll (Lebensmittel nicht zu verschwenden, ist für mich sowieso eine Selbstverständlichkeit). Und wie mensch das eben so macht, wenn mensch gerne mal übertreibt, habe ich angefangen, meinen Müll in einem Glas zu sammeln. In dieses Glas kommt alles, was durch meinen neuen Lebenstil an Verpackungs- und Restmüll entsteht. Nicht ins Glas gehören Dinge, die noch aus dem alten Leben stammen, denn mein Ziel ist es, mir selbst aufzuzeigen, wie viel weniger Müll ich durch dieses neue Leben produziere. In den letzten zehn Tagen haben es die Plastikverpackung der extrem teuren Fairtradestrumpfhose und eine leere Chipstüte in das Glas geschafft. Meine Konsequenz ist, dass ich ein so schlechtes Gewissen wegen der Chipstüte hatte, dass ich seitdem kaum Snacks mehr gekauft habe. Für mich ist das ein massiver Einschnitt in mein bisheriges Leben, denn ich LIEBE Chips. Ich bin der Meinung, dass Chips ein Grundnahrungsmittel sind und jederzeit ganze Mahlzeiten ersetzen können. Aber leider kommen Chips in Plastiktüten und damit sind sie ab sofort aus meinem Leben gestrichen.

Auch Essen unterwegs ist sehr schwer geworden, denn als fructoseintolerante Veganerin war der Markt eh schon recht eingeschränkt und mein Lieblingssalat to go kommt leider in einer Plastikdose. Dafür koche ich jetzt eben mehr selbst (hab ich eigentlich keine Zeit zu, aber was solls). Außerdem ist die Konsequenz, dass ich in Zukunft wohl 90% meiner Kosmetik und Hygieneprodukte konsequent selbst machen werde, weil alles, ja, wirklich alles, in Plastik oder Metall verpackt ist. Weiterhin faste ich zur Zeit die Schokocreme, die ich jeden Tag zum Frühstück esse, weil sie das letzte Lebensmittel mit Palmöl in meinem Leben ist. Ein Leben ohne Chips und Schokocreme ist scheiße, danke der Nachfrage.

Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich meinen Brieffreundinnen schreibe, weil Briefe unnötige Ressourcenverschwendung sind.

Mir wurde gesagt, ich sei zu hart zu mir, und vermutlich stimmt das auch, aber wie gesagt, ganz oder gar nicht. Und so anstrengend diese Änderungen in meinem Leben auch erstmal sind, sie machen mich auch glücklich. Ich habe wieder angefangen zu kochen, ein neues Paar Socken gestrickt (ich habe immer noch zu viel Wolle im Schrank…) und die zu teure Strumpfhose ist die bequemste, die ich je besessen habe. Ich habe immer noch 35 Nagellacke und werde wohl auch noch ein bisschen brauchen, um diese Zahl langsam einstellig zu kriegen, aber 35 ist die Hälfte von der Zahl, die ich im November besessen habe. Gut Ding will Weile haben und daran muss ich mich auch ab und zu erinnern.

Warum schreibe ich das alles? Wen interessieren diese Erste Welt Probleme? Was will ich überhaupt damit sagen?

Ich glaube, dass wir uns oft gerne übernehmen. Ich denke mindestens einmal täglich, dass ich versagt habe, weil Minimalist*innen nun mal echt nicht 35 Nagellacke besitzen sollten und weil konsequente Menschen das Brot mit Schokocreme, das ich neulich dann doch gegessen habe, gegen eins mit einem super gesunden Gemüseaufstrich ohne Palmöl getauscht hätten.Wir schreiben sechs Klausuren im Semester, obwohl wir zwei davon auch ins nächste Semester schieben könnten, wir sagen zu zwei Geburtstagen am gleichen Tag zu und wir sind zu hart zu uns, wenn mal etwas nicht so klappt, wie wir es uns vorgenommen haben. Aber ganz ehrlich? Scheiß drauf! Ganz oder gar nicht bedeutet, dass mensch sein Bestes geben sollte, die eigenen Ziele zu erreichen. Manchmal ist das Beste aber nicht von Anfang an 120%, sondern eher 70%. Und wenn ich ehrlich bin sind zwei Teile Müll in zehn Tagen ganz schön gut.

https://www.youtube.com/watch?v=2hFj41y1VaM

„Overwhelmed Being a Conscious Consumer | Minimalist Living“ – Samantha Lindsey (englisch)