Ich bin ein gutes konsumierendes Kind des Kapitalismus. Wenn ich mich langweile, kaufe ich ein. Wenn ich Freund*innen in ein Geschäft begleite, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich nicht zumindest ein Paar Socken kaufe, sehr gering. Vor Veranstaltungen, die mir wichtig sind (Landesmitgliederversammlungen, Geburtstage, Weihnachten, Seminare) kaufe ich ganz gerne ein komplett neues Outfit (und eine neue Handcreme und ein paar Nagellacke gleich dazu, ach und Ohrringe kann mensch ja auch eigentlich nie zu viele haben, oder?). Kurz gesagt, ich besitze ganz schön viel Kram. Und eines Tages saß ich in meinem Zimmer, umgeben von all meinem Krempel und…fühlte mich irgendwie erschlagen. Ich hatte nichts anzuziehen, ich war unzufrieden mit meiner Einrichtung, obwohl ich eine wirklich absurde Menge an Dekoartikeln besitze und ich hatte trotz hüfthohem Stapel an ungelesenen Büchern nichts zu lesen. Ich war schlichtweg überwältigt und reizüberflutet. Es war so viel von allem da, dass ich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sah. Außerdem gingen meine Kleiderschränke (ja, Plural…) nicht mehr richtig zu. Mein Schminktisch (#akbeauty4life) war komplett überladen, chaotisch und ehrlich gesagt auch irgendwie ein bisschen siffig. Und was habe ich gemacht, um dem ganzen Müll zu entkommen? Mehr eingekauft.

Kurz darauf war meine Zeit im Landesvorstand der GJ NRW vorbei und plötzlich hatte ich Freizeit. Um nicht in das bekannte und wirklich sehr reale Post-LaVo-Loch zu fallen, habe ich dann zwanghaft versucht, mir eine Beschäftigung zu suchen. Also fing ich an, meinen Kleiderschrank aufzuräumen und innerhalb von einer halben Stunde saß ich auf der Couch und mein kompletter Boden war bedeckt von Bergen an Kleidung. Das war weder ein schöner Anblick, noch hatte ich die meisten Teile in den letzten Monaten getragen. Also habe ich aussortiert. Knallhart, ohne Ausreden oder Ausflüchte von wegen “das kann man ja vielleicht noch mal tragen, auch wenn es Löcher hat”, oder “in einigen Jahren, wenn ich 20 Kilo weniger wiege, passt das doch wieder”. Ich habe einfach sortiert in “behalten”, “wegwerfen”, “spenden” und “verschenken”, so lange, bis jedes Shirt, jede Socke und jeder BH auf einem Stapel lag. Zwei Tage und viele Stunden Arbeit später besaß ich nur noch etwa halb so viel Kleidung wie vorher und plötzlich hatte ich wieder ganz schön viel anzuziehen. Denn was ich heute durch unzählige Minimalismusvideos und Blogs als Purging, also das gnadenlose Aussortieren des Überflüssigen kenne, war nicht nur unbeschreiblich befreiend, sondern hat auch dazu geführt, dass nur noch die Kleidungsstücke übrig blieben, die mir passen, die ich regelmäßig trage und die ich wirklich liebe oder brauche. Es war emotional sehr schwer, all die alten Kleidungsstücke in Größe 34 auszusortieren und mir einzugestehen, dass ich nunmal Größe 40 trage, doch schon nach kurzer Zeit habe ich gemerkt, dass sich mein Körperbild durch den Prozess verbessert hat, denn ich starre jetzt nicht mehr jeden Tag auf einen Haufen Kleidung, die mir zuschreit “Ich passe dir nicht mehr!”. Stattdessen kann ich jetzt wirklich jedes einzlene Kleidungsstück, das ich besitze, tragen.

Der ganze Prozess war zwar anstrengend, aber auch extrem befreiend (und es hat mich davon abgelenkt, dass ich nicht mehr dutzende LaVo-Mails pro Tag bekomme), also habe ich weitergemacht. Schmuck, Make-up und Kosmetik, Deko, Erinnerungsstücke, Bücher, Wolle, Stoffe und Bastelkram, Unterlagen, Unishit, alles. Ich habe nicht eine Schublade, nicht einen einzigen Karton in meinem ganzen Zimmer unangetastet gelassen und ich habe vermutlich jedes Teil, das ich besitze, im Laufe von einer Woche mindestens einmal in der Hand gehabt (und einen großen Haufen davon dann auch sofort aussortiert).

Um mich zu motivieren, habe ich mich bei Youtube und der Blogosphäre umgeschaut und festgestellt, dass es für das, was ich da gerade tue, einen Begriff gibt: Minimalismus. Nicht die Sorte Minimalismus, bei der ein schwarzer Streifen auf eine weiße Leinwand gemalt und das ganze Ding dann als Kunst an die Wand gehangen wird, sondern die Art, bei der mensch nur mit den Dingen lebt, die einen glücklich machen, oder die einen regelmäßigen relevanten Nutzen im eigenen Leben haben. Diese ganzen Erfahrungsberichte waren sehr inspirierend und als meine Kleiderschränke sich irgendwann wieder schließen ließen, habe ich mich hingesetzt und nachgedacht:

Woher kam dieser ganze Krempel überhaupt?

Warum habe ich so viel besessen?

Haben mich all diese Besitztümer glücklich gemacht?

Was sagt mein Besitz über mich als Mensch aus?

Woher kommen die zehn Paar High-Heels, die sich unter meiner Stoffsammlung versteckt hatten?

Wie viele Weihnachtssocken braucht mensch wirklich?

Und vor allem.

Wie kann ich mein Konsumverhalten ändern?

Letztendlich war der aufwändigste Schritt schon getan, denn am Anfang von jedem Minimalismusabenteuer, von dem ich gelesen habe, steht das Purging, also das Aussortieren. Jetzt ging es mehr darum, nicht mehr in alte Gewohnheiten zurück zu fallen und stattdessen die Dinge, die hinter den Ersatzbefriedigungen Shopping und Besitz ansammeln stehen, anzugehen. Schritt eins hierbei war ein radikales, dauerhaftes Einkaufsverbot. Seit Anfang Novenber habe ich genau zweimal etwas für mich gekauft (ein Buch auf dem Weg in den Urlaub und ein Couchkissen, das ich mir seit Monaten wünsche). Ich kaufe weiterhin Geschenke für andere, achte aber darauf, dass es etwas ist, was sich die Leute wirklich wünschen (oder im Zweifel einfach was ess- beziehungsweise trinkbares) und wenn meine Zahnpasta leer ist, kaufe ich auch neue, keine Angst.

Wann immer ich etwas kaufen oder bestellen möchte, einfach, weil ich es haben möchte, schreibe ich es stattdessen auf eine Liste in meinem Handy und warte ab. Eine Woche, einen Monat. Ich lese diese Liste regelmäßig und ganz ehrlich, meistens lösche ich Wünsche recht schnell wieder. Sollte ich doch einmal etwas kaufen, möchte ich in Zukunft darauf achten, dass das Produkt unter möglichst fairen Bedingungen hergestellt wurde und möglichst wenig Plastik beinhaltet. Das erfordert Recherche und Zeit, Spontankäufe sind also ein Ding der Vergangenheit.

Außerdem evaluiere ich meinen Besitz immer wieder. Was nutze ich, was kann eigentlich weg, hätte jemand anderes nicht vielleicht mehr Freude an diesem oder jenem Teil als ich? Es gibt kein großes Ausmisten mehr, einfach weil ich nur noch etwa 50% meiner Kleidung etc. besitze, aber es ist doch immer mal wieder hier und da ein oder auch zehn Teile, die ich entsorge. Und jedes einzelne Mal ist es wieder ein gutes Gefühl.

Ein wichtiger Teil dieses neuen Lebensstils ist es, mich um Dinge, die ich mag und die ich nutze, besser zu kümmern. Ich flicke Kleidung, ich halte meine Schuhe sauber, denn ich mag ja alles, was ich zurzeit besitze und möchte möglichst lange meine Freude daran haben.

Natürlich ist Minimalismus sehr viel mehr als nur Besitz. Und Minimalismus ist auch nicht für alle gleich. Es geht nicht darum, möglichst wenig zu besitzen, oder anderen zu sagen, wie viel glücklicher sie sein werden, wenn sie verzichten. Das ist Bullshit und ehrlich gesagt auch ganz schön arrogant. Einige Menschen haben große Probleme, ihren Körper zu lieben und oft hilft es diesen Menschen, viele schöne Kleidungsstücke anzusammeln. Das ist auch vollkommen okay. Ich werde niemals alle Dinge, die ich besitze, zählen (was ein sehr beliebter Trend in der Minimalismusszene) ist und ich werde auch garantiert niemals meine DVD-Sammlung weggeben. Ich will einfach nur etwas bewusster leben, als ich es bisher getan habe und euch an diesem Prozess teilhaben lassen. Deshalb ist dieser Artikel der erste Teil einer Kolumne zum Thema Minimalismus und Konsumkritik. Einfach, weil ich gerne über die Dinge, die mich glücklich machen, spreche.

Falls ihr neugierig geworden seid, sind hier die Blogs und Youtube Kanäle, die mich besonders inspiriert und motiviert haben.

Samantha Lindsey: https://www.youtube.com/user/samanthalindsy

Erin (My Green Closet): https://www.youtube.com/user/MyGreenCloset

Light by Coco: https://www.youtube.com/channel/UCp12IFoANz_tEY6YgZFqohA/featured

http://www.theminimalists.com/

http://www.trashisfortossers.com/

http://www.zerowastehome.com/