Wer denkt, dass wir dank Merkel längst mit dem Thema Atomkraft abschließen können, liegt falsch. Johanna erklärt, warum das so ist und was man dagegen machen kann. Ein Gastbeitrag von Johanna Löloff. 


In nur 65 km Entfernung von Aachen, bei Lüttich, liegt das Atomkraftwerk Tihange, bei dem 2012 tausende winzige Risse im Reaktordruckbehälter mittels Ultraschalluntersuchung festgestellt wurden. Im Falle einer Störung könnten sie bersten. Das Gleiche gilt auch für den Kraftwerksblock Doel-3, nahe Antwerpen. Genau wie Tihange-2 war er bis Anfang 2016 stillgelegt und wurde dann trotz der bestehenden Ungewissheit über die Ursache der Risse wieder in Betrieb genommen. Kürzlich wurde zudem festgestellt, dass es noch mehr Risse gibt als zunächst angenommen. Ein möglicher Störfall bei den maroden Reaktoren stellt eine Bedrohung für das westliche Rheinland dar. Die Grenzregionen von Belgien, den Niederlanden und Deutschland wären beim Super-GAU für Jahrzehnte unbewohnbar. Dieser besorgniserregende Zustand bewegte nun zehntausende Menschen zum Protest.

Um auf die desolaten Zustände der Atomkraftwerke aufmerksam zu machen und sich für deren Abschaltung stark zu machen, setzten 50.000 Menschen am 25. Juni ein Zeichen. Gegen die Atomkraftwerke Tihange und Doel und alle weiteren aktiven Reaktoren. Zudem zeigten sie, dass die Frage der Abschaltung nicht nur Belgien, sondern alle angrenzenden Regionen betrifft.

Hand in Hand wurde grenzüberschreitend in Belgien, den Niederlanden und Deutschland eine Menschenkette, die „Kettenreaktion“, gebildet um die Forderung deutlich zu machen.

Die Tatsache, dass sich Menschen aus verschiedenen Ländern Seite an Seite für eine Sache einsetzen, bewegt mich immer noch.

Und so habe ich, Johanna, die Chaîne humaine/Mensenketting/Menschenkette am in Seraing, Belgien erlebt:

Schon auf der Autobahn, auf dem Weg zu meiner ersten Anti-Atomkraft Demonstration, bemerke ich viele Autos mit Aufklebern und Flaggen im Kofferraum, sowie Busse die von den Grünen organisiert wurden, um möglichst vielen Menschen die Teilnahme zu ermöglichen. Die Anti-Atomkraft-Bewegung hat quasi die Straßen übernommen und alle sind mit dem gleichen Ziel unterwegs. Um ca. 13 Uhr treffe ich dann in Seraing, ein paar Kilometer von Lüttich entfernt, ein. Einige Menschen sind schon auf der Strecke unterwegs. Ausgestattet mit „Atomkraft? Nein Danke!“-Flaggen in verschiedenen Sprachen, Aufklebern, „Stop Tihange & Doel“-Taschen, verschiedensten T-Shirts und guter Laune finden sie sich in Cafés oder zum Picknick zusammen. Zu Hause hatte ich mich vorbereitet, indem ich auf ein schlichtes Top Stop, das Atomkraftsymbol und darunter die Menschenkette gemalt habe. So passe ich wunderbar ins Bild der anderen Anwesenden. Die lockere Atmosphäre heißt jede*n willkommen und ich schnappe Gespräche auf Französisch, Niederländisch oder Deutsch auf. Tatsächlich sind Menschen aus drei verschiedenen Ländern vor Ort um sich gemeinsam, unabhängig von ihrer Nationalität, gegen die Atomkraft auszusprechen. Mit der Zeit füllt sich die Gegend immer mehr und schließlich begeben wir uns vom Café zum nach Wohnort zugeteilten Streckenabschnitt. Das dort zunächst nicht sehr viele Menschen sind weckt die Angst, dass die Aktion scheitern und die Menschenkette in unserem Abschnitt möglicherweise nicht lückenfrei gebildet werden könnte. Doch es bleibt noch eine Stunde bis zum Beginn und somit weiterhin spannend. Da der Andrang geringer ist als in größeren Städten, in welchen sich auch viele Bewohner*innen an der Aktion beteiligen können, gibt es Bänder die eine Verbindung zwischen den Menschen ermöglichen, wenn nicht genug Teilnehmer*innen anwesend sind, um sich direkt an den Händen zu fassen. Auch diese Bänder verbreiten die Nachricht „Atomkraft überall abschalten“ in verschiedenen Sprachen. Langsam aber sicher nähert sich der Zeiger 14.45 Uhr, während sich immer mehr Leute auf der Strecke einfinden und durch die Bänder festhalten. Mir fällt auf, dass der Begriff Menschenkette nicht alle Beteiligten einschließt, als neben mir jemand seinen Hund ebenfalls in der Kette positioniert. Auch der niedliche Vierbeiner unterstützt so die Aktion. Es wurde hin- und hergerückt, bis jede°r seinen oder ihren Platz gefunden hat und alle Lücken geschlossen sind. Dann werden Fotos gemacht und gewartet. Um 14:45 Uhr sind dann alle bereit und die Kette geschlossen. Hupende Autos fahren vorbei und alle rufen „Abschalten! Abschalten!“, um die Forderung deutlich zu machen. Nach nur 15 Minuten ist es dann geschafft. Der friedliche Protest war erfolgreich, die Forderung überbracht. Die Kette wird gelöst und alle beginnen zu klatschen.

Und nun können wir sagen: Wir haben es geschafft! Die Kette stand, 90 km lang, drei Länder verbindend, wenn auch mit kleinen Lücken. Also wenn das kein Zeichen ist, dann weiß ich auch nicht!

Dieses Ereignis, die Tatsache, dass sich Menschen aus verschiedenen Ländern Seite an Seite für eine Sache einsetzen, bewegt mich immer noch. Und ich habe festgestellt: Ein Zeichen setzen kann so einfach sein! Danke an 50.000 Teilnehmer*innen und an alle, die viel Zeit, Energie und Geld in die Vorbereitung investiert haben. Ohne euch wäre das alles nie möglich gewesen!