Seit ich sprechen kann, ist es immer der gleiche Müll: Sobald irgendwo eine Anwesenheitsliste vorgelesen, oder mein Name aufgerufen wird, mache ich mich innerlich darauf gefasst, die immer gleiche Erklärungen auf die immer gleichen Fragen abzugeben:

Man spricht es Be-Na-Yas Del-Ga-Do. Ja, ohne Bindestrich, ja doch, wirklich. Das y spricht sich wie das j in ja.

Benayas schreibt sich Berta-Emil-Nordpol-Anton-Ypsilon-Anton-Siegfried (ja, ich kann das 3x schnell sagen, nein, das ist keine sonderlich originelle Frage.)

Nein, meine Familie stammt nicht aus Osteuropa, meine Eltern dachten einfach, dass Natascha ein schöner Name sei.

Ja, ich spreche deutsch, vielen Dank auch.

Nein, ich spreche kein spanisch (“Sólo un poquito, porque no hablamos español en casa”), portugisisch, oder “brasilianisch/cubanisch/[hier bitte willkürliches lateinamerikanisches Land einfügen]”.

Mein Leben lang wurde ich gezwungen, mich mit meiner nationalen Identität auseinander zu setzen. Mein Vater ist in Spanien geboren, meine Mutter in Deutschland, meine Schwester und ich ebenfalls. Und eigentlich sollte das vollkommen irrelevant sein. Ist es aber leider nicht. Ich halte nichts von nationalstaatlichen Konstrukten und einem absurden Wir-Gefühl auf Grund von dem Ort, an dem mensch geboren ist, trotzdem muss ich mich damit gezwungenermaßen immer wieder auseinander setzen. Denn egal, wo ich hingehe, irgendwer wird mir definitiv suggerieren, dass ich nicht dazu gehöre. Nicht deutsch, nicht spanisch, zu “fremd”, um als echte Kartoffel zu gelten, zu deutsch, um als Mensch mit Migrationshintergrund zu zählen. Dabei wäre ich meistens einfach ganz gerne nur Tascha.

Internationale Fußballspiele sind anstrengend. Nahezu fremde Menschen sagen mir, dass ich ja wohl für Deutschland zu sein habe, immerhin würde ich ja hier leben, da könne man ja nicht für Spanien sein. Andere gratulieren mir, wenn die spanische Mannschaft ein Spiel gewonnen hat. Ehrlich gesagt interessiere ich mich nicht sonderlich für Fußball.

Meine Lehrer*innen waren immer enttäuscht, wenn sie gehört haben, dass ich nicht zweisprachig aufgewachsen bin. Die Russ*innen und Türk*innen in meinen Klassen wurden gleichzeitig immer wieder angehalten, zuhause, “möglichst nur deutsch zu sprechen”. Uns wurde suggeriert, dass wir zwar alle irgendwie anders sind, aber auf unterschiedliche Art und Weise. Meine Andersartigkeit schien prestigeträchtiger als die vieler Mitschüler*innen zu sein. Gleichzeitig habe ich mich immer als Verliererin in diesem Vergleich gesehen, denn die anderen konnten meistens zwei oder mehr Sprachen, hatten den Echtheitsfaktor, während ich mir wie eine Mogelpackung vorkam. “Tascha ist keine richtige Ausländerin”, hieß es immer. “Aber auch keine Deutsche!”, schien der Rest sofort zu schreien.

Meine Mum ist rothaarig, meine Schwester blond mit blauen Augen und sehr heller Haut. Mein Vater ist schwarzhaarig mit recht dunkler Haut, ich werde bei Sonne schnell braun und olivfarben (oder “irgendwie gelb”, wie andere immer gerne gesagt haben). Am Flughafen beim Familienurlaub durften meine Schwester und meine Mutter immer sehr schnell die Sicherheitskontrollen passieren, bei meinem Vater und mir wurde immer noch mal zusätzlich gecheckt. Verstanden habe ich das erst sehr spät.

Seit ich Nachhilfe gebe (also seit etwa 8 Jahren), werde ich immer wieder gefragt, ob ich nicht Spanischnachhilfe anbieten könne und warum ich denn Englischlehrerin werden würde, wenn Spanischlehrer*innen doch gesucht werden. Als ich in der 9. Klasse Biochemie gewählt habe, wurde ich in den Spanischkurs gesteckt, weil der Biochemiekurs überfüllt war und es mir “doch im Blut läge”. Leute wollen an mir ihre Spanischkenntnisse ausprobieren und sind oft geradezu erbost, wenn sie feststellen, dass ihr Spanisch deutlich besser ist als meins. Ob ich nicht Spanischkurse nehmen wolle, das sei doch peinlich für mich. Warum eigentlich?

Oft habe ich gehört, dass ich so eine richtige typische “rassige Latina” sei. Latinx kommen aus Lateinamerika, ich war da noch nicht mal im Urlaub. Und ich möchte eigentlich nicht jedes Mal sexuell anzügliche Sprüche hören, wenn ich meine Haare schwarz färbe, rot trage oder lange in der Sonne war. Was für mich mein regulärer Alltag ist, ist für einige Menschen offenbar eine sexuelle Fantasie. Meine Haare sind mittlerweile bordeauxfarben und ich versuche, rote Kleidung zu meiden, einfach um sicher zu gehen.

An der Uni habe ich spanische Freund*innen gefunden. Die waren sehr irritiert davon, dass ich kaum Spanisch mit ihnen sprechen kann und dass mein Nachname nicht aus dem meiner Mutter UND meines Vaters zusammengesetzt ist, da meine Eltern nach deutschem Recht geheiratet haben. Mein Vater, seine Geschwister, deren Ehepartner*innen, ihre Kinder, meine Schwester, meine Mutter und ich, wir haben alle den gleichen Nachnamen, eine Unvorstellbarkeit in Spanien, wo nur Geschwister den gleichen Nachnamen haben. Dazu ist Delgado zwar etwa vergleichbar mit dem deutschen Müller, Benayas hingegen klingt selbst für spanische Ohren erstaunlich seltsam und “unspanisch”. Und dazu dann der wirklich doch sehr unspanische und undeutsche Vorname. Meine Schwester hingegen hat einen guten, traditionellen, spanischen Vornamen bekommen (vielen Dank auch, Mama und Papa). Sollte ich mal heiraten, darf ich keinen Doppelnamen annehmen, weil ich schon zwei Nachnamen habe. Gleichzeitig muss ich immer mit Benayas Delgado unterschreiben, weil er dann wieder nur als ein Name gilt. So richtig blicke ich da noch nicht durch.

Ich habe “Glück”, mein Migrationshintergrund ist nicht immer sichtbar, was mich vor allem im Winter, wenn ich sehr blass werde, und mit rot gefärbten Haaren vor offenem Rassismus auf der Straße schützt. Ich werde nicht bedroht, oder angegegriffen und meine Erfahrungen mit Rassismus beschränken sich im Alltag auf recht absurde Situationen:

Zum Beispiel mit einer alten Dame in der Bahn. “Welche Landsmännin sind Sie?” “Ähm, bitte was?” “Na, woher kommen Sie?” “Ähh, aus Köln?” “Nein, aber woher kommen Sie denn ursprünglich?” “Ich bin in Köln-Porz geboren.” “Aber Sie sind doch keine Deutsche.” “Warum nicht?” “Sie sind viel zu dunkel für eine Deutsche und Sie haben schwarze Haare.” Die sind gefärbt.” “Aber jetzt sagen Sie mir doch endlich, wo Sie herkommen.” “Köln-Porz. Echt jetzt.” Aber am Ende vom Tag fühle ich mich meistens wie eine Betrügerin. Ich bin nicht deutsch, ich bin nicht spanisch, ich bin auch irgendwie nicht so richtig beides zusammen (ich habe beide Staatsbürger*innenschaften, aber was soll ich damit). Ich fühle mich schuldig, wenn ich mich nicht als antideutsch bezeichne, weil ich doch sowieso nicht dazu gehöre und gleichzeitig zögere ich, über Rassismuserfahrungen zu sprechen, weil ich Angst habe, dass mich jemand als nicht “ausländisch” genug outet.

Also, für die Zukunft:

Ich habe keine Ahnung, was dieses oder jenes Wort auf Spanisch heißt.

Ja, ich bin bilingual (die momentan übliche Definition von Mehrsprachigkeit ist, dass man sich in mehr als einer Sprache in Wort und Schrift flüssig ausdrücken kann), allerdings in Deutsch und Englisch.

Nein, ich fühle mich nicht deutsch. Spanisch aber auch nicht.

Ich kann nur sehr wenig zur aktuellen spanischen Politik sagen.

Mein Name ist weder außergewöhnlich noch exotisch, er ist einfach nur mein Name. Und eigentlich reicht mir Tascha auch.