Antiamerikanismus ist in Deutschland aktuell mehr als sonst en vogue. Nach dem Start der *GIDA-Demonstrationen war es nur eine Frage der Zeit bis sich Ableger gründen würden, die ihr Ressentiment gegen die USA – also ihren Antiamerikanismus – in die Öffentlichkeit tragen. Mit „ENDGAME (Engagierte Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas)“ und PEGADA (Patriotische Europäer gegen die Amerikanisierung des Abendlandes) haben sich zwei Bewegungen gegründet, die im Internet besonders erfolgreich sind, deren Demonstrationen aber – zum Glück – immer kleiner werden. Nun wäre es natürlich einfach diese Gruppen und ihre Inhalte zu marginalisieren, aber Antiamerikanismus ist kein Phänomen irgendwelcher kruden „Linken“, „Rechten“ oder „Verschwörungstheoretiker*innen“, sondern weit in der deutschen Gesellschaft verbreitet. Nach einer Umfrage des Institutes für Demoskopie Allensbach aus dem Jahr 2013 gaben 72 Prozent der Befragten an, dass die USA „als Konsum- und Wegwerfgesellschaft ein abschreckendes Beispiel für den Rest der Welt“ seien. (1) Spannend ist an dieser Umfrage auch zu sehen, dass Antiamerikanismus besonders bei gebildeten Menschen verbreitet ist.

 
Nun stellt sich aber die Frage, was Antiamerikanismus eigentlich genau ist und welche Ausprägungen er annimmt. Im Allgemeinen lässt sich Antiamerikanismus als Welterklärungsmuster bezeichnen. Es geht also nicht darum die US-Regierung für ihre Taten zu kritisieren, sondern darum seine eigenen Probleme auf die USA abzubilden, egal was die US-Regierung tut oder nicht tut. Es geht also auch darum, etwas zu kritisieren, mit dem die USA in Verbindung gebracht werden, wie z.B. Kapitalismus oder bürgerliche Freiheit. Somit ist Antiamerikanismus nicht nur keine Kritik an der US-Regierung, sondern ihr genaues Gegenteil.
Im Allgemeinen lassen sich drei Ausprägungen des Antiamerikanismus feststellen, nämlich in den Bereichen der Politik, Wirtschaft und Kultur. (2)
In der politischen Sphäre des Antiamerikanismus geht es darum, dass sachliche Kritik, die selbstverständlich mehr als berechtigt ist, in eine antiamerikanisch-stereotype Denkweise umschlägt. Dies lässt sich zum Beispiel anhand der NSA-Affäre gut nachvollziehen. Während die Kritik an der Überwachung der NSA natürlich nachvollziehbar und berechtigt ist, wurde in der medialen Debatte schnell davon geredet, dass die USA der Überwachungsstaat schlechthin seien und die ganze Welt ausspionieren wollen. (3) Das hier die europäischen Geheimdienste wie der BND ordentlich mitmischten und die Bundesregierung die Vorratsdatenspeicherung einführen will, spielt hier keine oder nur eine mehr als untergeordnete Rolle.

 

Besonders interessant ist hier, wie sich auch bei den anderen beiden Ausprägungen des Antiamerikanismus zeigen wird, dass dies vor allem für eine Konstruktion von kollektiver Identität benutzt wird. Auf der einen Seite die bösen USA, auf der anderen Seite, in diesem Fall, die gegen Überwachung und gegen totalitäre Regime engagierten Europäer*innen/Deutschen.
Die wirtschaftliche Ausprägung des Antiamerikanismus zeichnet sich vor allem durch kollektive Stereotype und regressive Kapitalismuskritik aus. Die USA werden oft als „Nation von Zockern“ oder als „Religionsgemeinschaft der Enthemmten, die das Geld vergöttern“ bezeichnet. In dieser Ausprägung findet sich auch die alte Trennung zwischen vermeintlich gutem verwurzelten Kapital und vermeintlich schlechtem wurzellosen (Finanz-)Kapital, welche sich so oder so ähnlich auch in der Ideologie der Nazis oder in der Ideologie der antiimperialistischen „Linken“ findet. Der gute Kapitalismus fände sich also in Deutschland und/oder Europa und der schlechte Kapitalismus in den USA. Dass Zinsen, Arbeit, Wert und Ausbeutung typisch für Kapitalismus sind, scheint die Antiamerikaner*innen nicht zu interessieren. Ferner personalisieren die Antiamerikaner*innen ihre vermeintliche Kapitalismuskritik, in dem sie wahlweise der Wallstreet, den Spekulant*innen oder den 1% die Schuld für die Krisen des Kapitalismus zuschieben.

 

An dieser Stelle wird auch klar, wieso Antisemitismus und Antiamerikanismus sich in Teilaspekten ähneln oder direkt zusammenfallen. Mal seien die Juden schuld am Kapitalismus, mal die USA, mal wollen die Juden angeblich die Welt beherrschen, mal die USA. In Eins fallen beide Ideologien, wenn davon geredet wird, dass die Juden Amerika und/oder die Wallstreet beherrschen würden. Mal wäre Israel der Vorposten der USA im Nahen-Osten, mal stünde die USA so unter dem Einfluss der Juden, dass sie ein zweites Israel seien. (4) An dieser Stelle muss aber festgehalten werden, dass Antiamerikanismus und Antisemitismus nicht das Selbe sind.

 
In der kulturellen Ausprägung des Antiamerikanismus geht es vor allem darum, dass die USA keine bzw. eine falsche oder minderwertige Kultur besitzen würden und diese darüber hinaus durch ihren Kulturimperialismus über die ganze Welt verteilen würden. Die USA gelten dann als durch und durch künstlich. Als Beispiele werden in Deutschland gerne aufgeführt, dass die USA billige Pop-Musik, Hamburger und Coca-Cola habe, Deutschland hingegen Beethoven, Goethe und Schloss Neuschwanstein. Offensichtlich ist hier, dass Deutschland bei diesem Vergleich natürlich besser wegkommt als die USA. Dass die USA aber Ikonen wie George Gershwin oder Mark Twain, sowie das Empire-State-Building haben, spielt auch hier für die Antiamerikaner*innen keine Rolle. (5) Außerdem zählen US-Serien wie „How I Met Your Mother“ oder „Game of Thrones“ in Deutschland zu den Erfolgreichsten. Dass sich in Deutschland aber der größte Zivilisationsbruch der Geschichte mit der Shoah und Nationalsozialismus ereignet hat und dass u.a. die USA diesen beendet haben, scheint hier ganz bewusst vergessen zu werden.
Bei allen drei Formen zeigt sich auch, dass Antiamerikanismus eine Faktenresistenz besitzt. Andrei S. Markovits formulierte es wie folgt: “damned if you do, damned if you don’t“. Hier wird das paradoxe Dilemma klar in welchem sich die USA befinden. Egal was sie tun oder nicht tun, sie werden verurteilt. (6)

(1) http://www.ifd-allensbach.de/uploads/tx_reportsndocs/Januar13_Antiamerikanismus.pdf
(2) Tobias Jaecker: Hass, Neid, Wahn. Antiamerikanismus in den deutschen Medien, Campus Verlag: Frankfurt/New York 2014,
(3) http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-02/antiamerikanismus-deutsche-medien
(4) http://www.rote-ruhr-uni.com/cms/Elemente-des-Antiamerikanismus.html
(5) http://emafrie.de/amis/
(6) Andrei S. Markovits: Amerika, dich haßt sichs besser. Antiamerikanismus und Antisemitismus in Westeuropa. Konkret Literaturverlag, Hamburg 2004.